Gedankensplitter 16/2016

Die konservative Seele: Im Laufe der Flüchtlingskrise zeigten sich deutliche Risse innerhalb der Unionsparteien. Seit Angela Merkels Machtantritt 2005 ordnete sich die Partei vor allem dem Ziel, geräuschlos zu regieren, unter. Dabei ging man manche Kompromisse ein, verabschiedete sich von Atomkraft, Wehrpflicht und dem dreigliedrigen Schulsystem und rückte gesellschaftspolitisch weit nach links – solange die Politik erfolgreich war. Der konservative Flügel der Union schien zur Bedeutungslosigkeit verdammt. Ausgerechnet in einer für die Zukunft der deutschen Gesellschaft wichtigen Frage versagt diese Einheit. Ex-Bundeskanzler Kohl versucht nun, sich als Kopf der konservativen Seele der Partei zu positionieren. Er möchte sich nicht nur mit dem Kopf der autoritären Bewegung Europas, Viktor Orbán, treffen, sondern keilt in dieser Woche zudem gegen die Flüchtlingspolitik Merkels. Tragischerweise lähmt der innerparteiliche Streit die Kanzlerin bei der Suche nach Lösungen für die Integrationsherausforderungen und zerstört gleichzeitig die Erfolgsgrundlage der CDU: Ihr Regieren ist dadurch weder geräuschlos nicht erfolgreich. Aufgrund der innenpolitischen Herausforderung und erstarkenden Rechtspopulisten kann sich niemand darüber freuen.

Realsatire: Das Hauptthema der vergangenen Woche war sicherlich die Debatte um die türkische Forderung, eine Strafverfolgung Jan Böhermanns einzuleiten. Tagelang hielt dies die deutsche Politik in Atem. Die Bundeskanzlerin hat sich dazu entschlossen, in diesem Fall nach den Prinzipien des Rechtsstaats zu handeln und das juristische Verfahren einzuleiten. Die SPD-Minister sprachen sich dagegen aus, für sie ist es ein gefährliches Zeichen gegen die Pressefreiheit und dürfte es kritischen Stimmen in der Türkei noch schwieriger machen. Beide Seiten haben gute Argumente. Das Ausmaß der Diskussion mutet hingegen wie Realsatire an: Wenn eine Regierung so lange für solch eine Entscheidung braucht und sich dann nicht einmal auf eine Position einigen kann, diskreditiert sie sich genau so stark wie ein ausländischer Präsident, der Satire nicht ertragen kann. Jan Böhmermann ist es damit nicht nur gelungen, aus der Zeit gefallene Paragraphen ins Licht der Öffentlichkeit zu zerren, sondern sowohl die türkische als auch die deutsche Regierung bloß zu stellen.

 

Misstrauische Willkommenskultur: In der vergangenen Woche hat sich die Große Koalition auf ein Integrationsgesetz geeinigt. Es ist Teil einer Reihe von Maßnahmen, die auf einem Koalitionsgipfel beschlossen wurde. Immerhin: Julia Klöckners absurde Ideen (wie z.B. die einer Integrationspflicht) haben es zumindest nicht namentlich in das Vorhaben geschafft. Was allerdings das Licht der Öffentlichkeit erreicht hat, scheint nicht weit davon entfernt zu sein. Die Vorhaben zeigen eine große Skepsis gegenüber Zuwanderern, Leistungen sollen gekürzt werden können, Wohnorte verbindlich festgeschrieben werden. Das Integrationsgesetz scheint dadurch weniger ein Mittel, ein Anreizkasten zur Integration zu sein als ein Kontrollinstrument. Noch ist das Gesetz nicht verabschiedet, es bleibt zu hoffen, dass es am Ende ein Maßnahmenpaket ist, dass Integration anbietet und fördert und nicht nur deren Abwesenheit sanktioniert.

 

BREXIT dank Panama: Im Juni stimmen die Bürger des Vereinigten Königreiches über ihren Verbleib in der Europäischen Union ab. David Cameron, der einen Austritt ablehnt, wurde zu diesem Referendum in der vorherigen Legislaturperiode durch das Erstarken von Rechtspopulisten und einem EU-kritischen Flügel in seiner eigenen Partei gezwungen. Leichtsinnigerweise lies er seinen Ministern freie Wahl, sie können für oder gegen den EU-Austritt werben. Das Ergebnis ist eine zerstritten auftretende Regierungspartei. Mit der Veröffentlichung der Panama-Papers hat der Premier in den vergangenen Wochen zusätzlich deutlich an Glaubwürdigkeit eingebüßt, die dominierende Stellung der Konservativen im Parteiensystem scheint gefährdet – auf einmal ist es für Cameron Gegner attraktiv auf seine Niederlage beim Referendum zu setzen. Noch scheint der Ausgang des Referendums nicht gesichert. Das miserable Krisenmanagement (in eigener Sache) des Premiers erhöht jedoch die Gefahr eines BREXITs. Am Ende könnte Cameron als der Premier in die Geschichte eingehen, der durch Leichtsinnigkeit und Opportunismus die EU-Mitgliedschaft seines Landes verspielt hat – ein „Gamble“ mit laut Ökonomen durchaus dramatischen Folgen für das Königreich und den Kontinent.

 

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