Gedankensplitter 15/2016

Delegierten-Qualen: Im US-amerikanischen Vorwahlkampf haben die beiden großen Parteien Probleme mit ihrem Delegiertensystem. Nach Bernie Sanders Sieg in Wyoming ist erneut eine Diskussion über die demokratischen Superdelegierten ausgebrochen. Sanders gewann mit 12% Vorsprung, aufgrund der einstimmigen Entscheidung der ungebundenen Superdelegierten, Hilary Clinton zu unterstützen, holte Clinton jedoch 11 gegenüber Sanders 7 Delegierten. Bei den Republikanern muss Donald Trump wiederum feststellen, dass er seine Gegner unterschätzt hat. Sie schneiden nicht nur in Parteitagswahlen besser ab, sie sorgen auch dafür, dass in von ihm gewonnen Bundesstaaten hauptsächlich Delegierte gewählt werden, die ihn kritisch sehen. Diese sind zwar in der ersten Runde des Nominierungsparteitags daran gebunden, ihn zu wählen. In einem zweiten Wahlgang können sie jedoch eher nach ihrem Gewissen entscheiden – und damit vielleicht gegen Trump. Da die Vorwahlen in diesen Staaten längst vorbei sind, liegt die Aufmerksamkeit nicht so sehr auf diesen Delegiertenwahlen, die häufig mehrere Wochen später stattfinden. Während die demokratischen Superdelegierten immerhin in der Mehrheit öffentlich bekunden, für wen sie stimmen werden, ist das bei den republikanischen Delegierten hinsichtlich des zweiten Wahlgangs nicht der Fall. Beide Systeme haben Probleme, den Wählerwillen direkt umzusetzen und sind damit der Kritik ausgesetzt. Die knappen Ergebnisse in beiden Lager dienen daher einmal mehr dazu, die komplizierten Prozeduren des amerikanischen Wahlsystems hervorzuheben.

Volksqualen: Die Niederländer lehnten in dieser Woche bei einer geringen Wahlbeteiligung mit deutlicher Mehrheit das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine ab. Die Ergebnisse dieses Volksentscheides stimmen wie so viele Volksentscheide nachdenklich. Denn in der Kampagne ging es nicht nur um die Ukraine. Stattdessen wurde die Wahl zu einer Abstimmung über eine mögliche EU-Mitgliedschaft der Ukraine bzw. sogar über die EU-Mitgliedschaft der Niederlande stilisiert. Sachargumente, die tatsächlich das Assoziierungsabkommen in den Mittelpunkt stellten, hatten es dabei schwer. In Deutschland wurde im Anschluss in den meisten Kommentaren die Vorteile der repräsentativen Demokratie gepriesen. Trotzdem ist es erschreckend, dass angesichts zunehmender (ideologischer) Spannung zwischen der EU und Russland, eine Regierung der EU nicht in der Lage ist, die Bedeutung der Handels- und in gewisser Weise auch Demokratieförderung in der Ukraine zu unterstreichen. Besonders ironisch ist dabei, dass die Initiatoren des Abkommens, denen es darum geht „unsere“ Werte zu verteidigen, am Ende dem autoritären russischen Präsidenten in die Hände spielen. Damit dürften sie deutlich machen, dass Demokratie nicht zu den zu verteidigenden Werten zählt.

CDU und Anti-Liberalismus: Die vielleicht überraschendste Meldung der vergangenen Woche ist, dass der Ex-Bundeskanzler und angeblich überzeugte Europäer Helmut Kohl sich mit Viktor Orbán treffen möchte. Ob diese Geste eine späte Rache an Angela Merkel ist oder tatsächlich der Überzeugung Kohls entspringt, sie zeigt, dass nicht nur die CSU ein Problem damit hat, sich über Werte wie Rechtsstaatlichkeit einig zu sein. Wie soll es der deutschen Bundesregierung gelingen, anti-demokratische und autoritäre Tendenzen in der EU entgegen zu treten, wenn prominente Mitglieder der Regierungsparteien ständig diejenigen Regierungschefs hofieren, die die Pressefreiheit einschränken und Rechtsstaatlichkeit abbauen? Der angebliche Europäer Kohl leistet seiner Partei einen Bärendienst indem er Orbán auch hier salonfähig macht.

Der Nutzen der SPD: Angesichts sinkender Umfragewerte stellten in der vergangenen Wochen Medien wie die Welt die Frage, wozu die SPD eigentlich noch gebraucht wird. Wenn die Große Koalition Projekte umsetzt, dann sind es sozialdemokratische. Dennoch verliert die SPD auf Bundesebene konsequent an Zustimmung. Eine generelle Antwort, warum es die Sozialdemokratie in Deutschland braucht, zeigt das jüngste Verhalten der Unionsparteien: Während hier die Rechtsstaatlichkeit in Frage gestellt, Orbán hofiert wird und man z.B. in Baden-Württemberg in Windeseile auf populistische Proteste (z.B. gegen eine angebliche „Gender-Ideologie“) aufspringt, hält sich die SPD von solcher Form der Agitation in der Regel fern. Hinter Angela Merkels sozialdemokratischen Unionsflügel scharren schon lange konservative Gruppen, die durchaus die Oberhand gewinnen können. In solchen Momenten wird es eine organisationsfähige SPD brauchen, um deren anti-liberalen Tendenzen entgegenzutreten und Entwicklungen wie in Polen und Ungarn zu verhindern. Die SPD ist also immer zumindest als Verteidigung gegen autoritäre Tendenzen der konservativen Parteien notwendig. Diese Verteidigungsposition reicht aber nicht aus, um Wahlsiege einzufahren. Für diese müsste die SPD deutlich machen, dass sie auch im Angriff etwas zu bieten hat, dass sie also nicht nur alte Errungenschaften verteidigen, sondern auch neue, bleibende Errungenschaften erstreiten kann. Davon ist die Partei angesichts vieler kleiner aber keiner großen sozialdemokratischer Projekte derzeit weit entfernt.

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