Julia Klöckners scheinheiliger Wahlkampf auf dem Rücken von Flüchtlingen

140px-Flag_of_Rhineland-Palatinate.svgEs ist Wahlkampf. Bald wird in drei Bundesländern gewählt. Alle Parteien sind daher gerade nervös und bemühen sich, Wohlwollen bei den Wählern zu sammeln. Aus diese Grund behaupten Journalisten häufig, dass in Wahlkampfzeiten nicht regiert wäre. Das demokratische Ideal wiederum geht davon aus, dass im Wahlkampf unterschiedliche Politikkonzepte miteinander in einen Wettstreit treten. In den deutschen Medien werden diese Unterschiede selten thematisiert, lieber stürzt man sich auf Persönlichkeiten. In dieser Wahlkampfsaison ist es vor allem Julia Klöckner, die mit ihrer Forderung nach einer Integrationspflicht seit einem halben Jahr um Aufmerksamkeit buhlt. In Wirklichkeit handelt es sich dabei jedoch um eine scheinheilige und verantwortungslose Parole, deren (mögliche) Inhalte bereits vor Monaten von der SPD skizziert wurden, von der CDU aber nicht umgesetzt werden.

Integration ist eine Mammutaufgabe. Vermutlich ist sie häufiger gescheitert als gelungen. Es ist nämlich äußerst schwierig, jemanden von den eigenen Wertvorstellungen zu überzeugen und gleichzeitig das Gefühl zu geben, ein akzeptiertes Mitglied der Gesellschaft zu sein. Einige Länder machen es sich daher einfach: Mithilfe eines Punktesystems wählen sie bereits im Vorfeld nur die Einwanderer aus, die besonders integrationswillig und -fähig sind. Deutschland kann sich das nicht leisten: Über verschiedene Wege gelangen viele Schutzsuchende ins Land, die integriert werden müssen und die nicht nur aufgrund eines fehlenden Punktesystems sondern auch aus humanitären Gründen nicht einfach abgewiesen werden können.

Seit einigen Jahren versucht die deutsche Politik einige Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Es ist wichtig, dass es strukturierte Angebote für die Integration gibt und diese nicht dem Zufall überlassen wird. Die rot-grüne Bundesregierung führte Sprachkurse ein. Die zweite große Koalition führte 2008 einen Einbürgerungstest ein. Darüber hinaus sieht das Angebot noch immer sehr bescheiden aus – und auch die Sprachkurse eignen sich bisher nicht immer, ein berufsfähiges Deutsch zu erlernen.

Am Wichtigsten neben der institutionalisierten Integration ist wohl der Kontakt zu einer (aufgeschlossenen) deutschen Bevölkerung. Integriert kann nämlich nur jemand sein, der sich in der Mehrheitsgesellschaft so frei bewegen kann wie in seiner eigenen. In Deutschland (und in anderen europäischen Ländern) sind wir in dieser Hinsicht auf keinem guten Weg: Flüchtlinge werden unter Generalverdacht gestellt, mal pauschal vom Schwimmbadbesuch ausgeschlossen, mal in der politischen Debatte als reines Kanonenfutter verwendet. Integration ist unter diesen Umständen äußerst schwierig.

Eine Integrationspflicht kann es nur geben, wenn es auch ein Angebot gibt, das angenommen werden kann. Außerdem braucht eine Integrationspflicht eine konkrete Definition von Integration. Die CDU hat in der vergangenen Woche unter der Führung von Julia Klöckner ein Papier zur Integration erstellt. Medial hat vor allem die Forderung nach einer Aussetzung des Mindestlohns für Furore gesorgt. Hier sollten klar, Antipathien von Niedrigverdienern geschürt werden und Flüchtlinge als Konkurrenz aufgebaut werden. Doch auch in anderen Punkten ist das Papier eine schlimme Lektüre. Es beginnt mit der Präambel: Von Integration wird nicht einmal gesprochen, nur davon wie man Flüchtlingszahlen reduzieren könnte. Anschließend wird betont, dass nicht alle bleiben können – das ist ebenfalls bekannt. Nach einer umfangreichen Begründung, warum eine Integrationspflicht notwendig ist, fasst die Union in Stichpunkten den Inhalt dieser Pflicht zusammen. Die ersten beiden Punkte sind ausschließlich negativ. Es bedarf also drei Seiten bevor die Union überhaupt auf den Inhalt der Integration eingeht.

Es folgen eine Reihe sinnvoller Maßnahmen (mehr Kurse, mehr Kinderbetreuung damit Frauen an den Kursen teilnehmen können und bessere Berufsforderungen). Doch die Union verschweigt zwei fundamentale Aspekte. Erstens wird an keiner Stelle darüber geredet, was diese Maßnahmen kosten. Gerade wenn Kommunen und Länder gefördert werden sollen, wird das den Bund viel Geld kosten. Die SPD spricht seit langem davon, dass Integration nur durch z.B. höhere Zuschüsse zu Sprachkursen ermöglicht werden kann. Das derzeitige Konzept der Union lässt den Finanzierungsaspekt völlig außer acht. Zweitens zeigt das Programm, dass es eine Integrationspflicht noch gar nicht geben kann. Denn das dafür notwendige Angebot ist gar nicht da.¹

Und das ist das Problem an Julia Klöckners Wahlkampflüge: Ihre Parolen erwecken den Eindruck als läge es nur an Einwanderern, wenn Integration scheitere. Stattdessen hindern vor allem zwei Aspekte erfolgreiche institutionalisierte Integration. Erstens fehlt es schlicht an Angeboten und an CDU-Bereitschaft, das Geld für diese Angebote bereitzustellen. Und zweitens gibt es Menschen wie Julia Klöckner, die den Eindruck erwecken, ersteres sei nicht der Fall. Dadurch schüren sie weitere Vorbehalte gegenüber denjenigen, die integriert werden sollen. Diese Vorbehalte liest man im ganzen CDU-Integrationspapier an vielen Stellen. Hier muss man leider einen alten CDU-Spruch bemühen: Integration darf keine Einbahnstraße sein! Sie muss von Einwanderern erwarten, dass Werte und Lebensvorstellungen der Mehrheitsgesellschaft respektiert werden. Sie muss aber auch Toren öffnen, Akzeptanz zeigen und vor allem Kontakte zur Mehrheitsgesellschaft öffnen.² Wer derzeit von einer Integrationspflicht spricht, handelt verantwortungslos, weil er diese in keine Richtung einhalten kann und vor allem Vorurteile schürt.

Anders läuft übrigens der Wahlkampf der SPD. Die Sozialdemokraten haben nicht erst im Februar, wenige Wochen vor der Wahl ein Konzept vorgelegt. Bereits im vergangenen Dezember präsentierten sie unter der Führung von Malu Dreyer ein Papier, dass die Grundlage für eine erfolgreiche Integration legen sollte. Anders als bei der Union heißt es hier zunächst:

Wir wollen die Chancen von Bildung für die Integration nachhaltig und umfassend nutzen und daher das Kooperationsverbot für Bildung im Grundgesetz jetzt abschaffen. Wir brauchen einen Zukunftspakt von Bund und Ländern für die Finanzierung eines umfassenden Programms für Integration und demografischen Wandel. Unser Ziel sind mehr Chancen und bessere Teilhabe für alle.

Und noch vor den Ereignissen von Köln wird hier (als Punkt 2 von 12) festgehalten:

Wir wollen Integration fördern, wir müssen sie aber auch einfordern. Dabei gilt: Alle Menschen sollen in Deutschland frei und sicher leben können. Wir wollen einen starken Rechtsstaat, der die Menschen- und Bürgerrechte garantiert, wie sie in den Artikeln 1 bis 20 des Grundgesetzes formuliert sind.

Das weitere Papier benennt Herausforderungen und Lösungsmöglichkeiten. Es konzentriert sich nicht nur auf Flüchtlinge, es möchte die Situation nutzen und Bildungs- und Teilhabermöglichkeiten für alle Benachteiligten und Schwachen in der Gesellschaft schaffen. In vielen inhaltlichen Punkten orientiert sich das jetzige CDU-Papier an dem der SPD – freilich ohne den Bezug auf die (Bildungs)Möglichkeiten für die deutsche Bevölkerung und ohne das Eingeständnis, dass die Maßnahmen etwas kosten werden.

Eine verantwortungsvolle Regierungspolitik würde jetzt diese sozialdemokratischen Maßnahmen in die Tat umsetzen. Die unverantwortliche CDU-Politik unter Julia Klöckner versucht hingegen, das Thema für den Wahlkampf auszuschlachten. Dabei ist sie unehrlich, schürt Vorteile und verspricht Dinge, die ihre Partei in der Regierung längst tun müsste. Zusammenfasst: Das ist unverantwortlich.


¹Eine weitere, äußerst zynische Forderung der CDU ist, Flüchtlingen nur ein dauerhaftes Bleiberecht zu gewähren, wenn sie für ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen können. Natürlich ist es wichtig, dass der Wille dazu da ist. Dies jedoch verpflichtend, also als gegeben zu erwarten, setzt Ansprüche an Flüchtlinge, die eine vorherige Integration ausschließen. Es erwartet ja niemand, von Bürgern der Mehrheitsgesellschaft, dass sie ihren Lebensunterhalt allein bestreiten können. Sie müssen „nur“ willig sein, dies zu tun. Dies ist nur einer der vielen Subtexte in dem CDU-Dokument, das Flüchtlingen nicht auf Augenhöhe, sondern mit Vorurteilen gegenüber tritt.

²Am perfidesten ist die Aufzählung des CDU-Landesverbandes Rheinland-Pfalz „Was uns wichtig ist„. Hier stellt sich die CDU als Vorkämpferin all der Bürger hin, die sich Selbstverwirklichung wollen, sich Gleichberechtigung wünschen oder Teil einer Minderheit sind. Das kann man vielleicht mit einem zynischen Grinsen akzeptieren. Pervers ist aber der Abschnitt „Kinderrechte“. Hier schreibt die Union: „Kinder haben Rechte und erhalten besonderen Schutz. Gewalt gegen Kinder ist bei Strafe verboten und das gilt auch für Eltern und Verwandte.“ Das ist richtig. Diese Worte kommen aber von der Partei, die gerade den Familiennachzug massiv erschwert hat, auch für minderjährige Flüchtlinge. Kinder haben ein Recht darauf, in ihrer Familie aufzuwachsen. Die angeblich christliche Union arbeitet daran, dieses Recht Kindern zu nehmen. Die angeblich christliche Union schafft Anreize dafür, dass noch mehr Kinder die lebensgefährliche Passage über das Mittelmeer nehmen. Und diese angeblich christliche Union erdreistet sich anschließend dazu, andere über Kinderrechte zu belehren. Das Fazit „Verantwortungslosigkeit“ wirkt in diesem Punkt noch harmlos.

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