Gedankensplitter 09/2016
|Versöhnen statt spalten: Hillary Clinton hat die demokratischen Vorwahlen im US-Bundesstaat South Carolina mit deutlichem Vorsprung vor ihrem Konkurrenten Bernie Sanders gewonnen. In ihrer Dankesrede fühlte sie sich so sicher, dass sie sich nicht ihren parteiinternen Konkurrenten, sondern ihren republikanischen Konkurrenten Donald Trump anvisierte: Amerika müsse nicht wieder groß gemacht werden, es habe nie aufgehört, groß zu sein. Es müsse stattdessen wieder „ganz“ gemacht werden. Versöhnen statt spalten – solche Töne hört man aus den USA selten. Angesichts der polarisierten Stimmung und der großen Ablehnung, die Clinton aus dem republikanischen Lager entgegenschlägt, ist es jedoch unwahrscheinlich, dass ihr Appell auf der „anderen Seite“ gehört wird. Aber vielleicht macht es sich die Präsidentschaftskandidatin Clinton ja tatsächlich zum Ziel, die immer größeren politischen Gräben im mächtigsten Land der Welt etwas zu schließen. Die dadurch gewonnene Regierungsfähigkeit könnte auch dem Rest der Welt zugute kommen.
Das simple Argument: Der SPD-Vorsitzende Gabriel mahnte in der vergangenen Woche an ob der Versorgungsprobleme von Flüchtlingen nicht soziale Probleme innerhalb der Gesellschaft zu vergessen. Die damit verbundene Forderung nach mehr aktiven (und damit kostspieligen) Bundessozialprogrammen zum Beispiel im Bereich der Bildung wurde von Finanzminister Wolfgang Schäuble als „erbarmungswürdig“ und Wahlkampf abgetan. Schäubles Argument: Trotz der schwarzen Null im Bundeshaushalt werde ja nicht gekürzt. In meinen Augen ist das wiederum das wirklich „erbarmungswürdige“ oder zumindest simple Argument. Denn dem Finanzminister ist durchaus klar, dass keine Erhöhung angesichts der Inflation durchaus eine Kürzung ist. Und dem Finanzminister ist ebenfalls klar, dass bei erhöhten Ausgaben in einigen Bereichen (z.B. der Flüchtlingspolitik) andere Budgets knapper werden. Anstatt den Vorschlag des Koalitionspartner Gabriel dafür zu nutzen, in eine Debatte über mögliche soziale Probleme im Lande einzusteigen, kommt aus dem Finanzministerium also nur eine störrische, substanzlose Beleidigung.
Die doppelte Klöckner: Julia Klöckner will Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz werden und dafür ist sie bereits alles zu tun – oder zumindest zu sagen. Denn auf der einen Seite möchte sie sich nicht von Angela Merkel distanzieren, auf der anderen Seite verbündet sie sich mit ihren Kritikern wie z.B. dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer. Sie nimmt dabei willigend in Kauf, dass sich rechtspopulistische Stimmen bestätigt fühlen. Außerdem trägt diese unklare Haltung dazu bei, das Profil der Union endgültig zu verwäschern wie zum Beispiel das WDR Meinungsmagazin Politikum richtig anmerkt. Die Gefahr dabei ist, dass die Union mit einer unklaren Haltung kaum jemanden von ihrer derzeit gemäßigten Flüchtlings- und Integrationspolitik überzeugen kann. Auf lange Sicht schadet Julia Klöckner also ihrer Partei – doch das ist ihr um ihrer eigenen Karrierechancen egal. Ob jemand, der so verantwortungslos Wahlkampf betreibt, verantwortungsvoller regieren wird?
Knappe Bürgermeisterwahl in Wedel: Am heutigen Sonntag wählte zudem meine Heimatstadt Wedel ihren neuen (bzw. alten) Bürgermeister. Ich habe den Wahlkampf nur aus der Ferne miterlebt. Der SPD-Kandidat musste sich relativ frühzeitig aus gesundheitlichen Gründen zurückziehen. Der vorgeblich unabhängig, jedoch seit Jahren hauptsächlich von der CDU und FDP gestützte parteilose Kandidat Niels Schmidt trat damit nur gegen ebenfalls parteilose aber auch unabhängige Kandidatin Claudia Wittburg an, die die Kinderbetreuung zu ihrem Wahlkampfschwerpunkt machte. Auffällig an diesem Wahlkampf war vor allem eine Art Doppelmoral auf der Facebookseite der „unabhängigen“ Unterstützerinitiative Niels Schmidts. Regelmäßig wurde dort angemerkt, dass der Wahlkampf nun „schmutzig“ werde – nämlich wann immer jemand es wagte, ihren Kandidaten oder ihre Initiative zu kritisieren. Gleichzeitig schreckte man dort nicht davor zurück, Schmidts (berufstätige) Gegenkandidatin in ein schlechtes Licht zu rücken, weil sie z.B. beim CDU-Wirtschaftsempfang nicht teilgenommen habe oder weil der SPD-Kandidat ein Foto von sich und dem örtlichen Männergesangsverein verwendet hat. Diese Doppelmoral aus eigener Dünnhäutigkeit und gleichzeitiger Aggressivität wirkte sehr scheinheilig. Am Überraschendsten war jedoch das Ergebnis: Der von zwei Parteien, einer unabhängigen Initiative und zwei Amtszeiten gedeckte Niels Schmidt erzielte gegen seine bis vor kurzem noch völlig unbekannte Gegenkandidatin gerade einmal 54,4%! Dies deutet daraufhin, dass Claudia Wittburg sowohl mit ihrem Thema (Kindergartenförderung) als auch mit ihrer Forderung nach einer anderen Diskussionskultur in der Stadt (s. vorherige Ausführung zur Doppelmoral) einen starken Nerv getroffen hat. Während man Niels Schmidt also zu seiner Wiederwahl gratulieren und sechs (hoffentlich) engagierte Jahre wünschen kann, muss man Claudia Wittburg für den Dienst, den sie der örtlichen Demokratie geleistet hat, danken. Denn die Episode zeigt wieder einmal, wie wichtig es ist, dass sich engagierte Menschen finden, die sich auch trauen, ohne einen Parteiapparat gegen einen alteingesessenen, von den konservativeren Parteien getragenen Bürgermeister zu kandidieren. Nur dank ihrer Kandidatur ist die strukturelle Unzufriedenheit in der Stadt sichtbar geworden. Was die örtlichen Politiker und der Bürgermeister (, der inhaltlich meist damit auffällt, auf den Rat zu verweisen und politische Verantwortung abzustreiten) aus dieser Offenbarung machen, wird man in den kommenden sechs Jahren sehen.