Gedankensplitter 07/2016

US-Vorwahlen – die Enttäuschungsspirale: Menschen gehen unterschiedlich mit Enttäuschungen um. Deutsche Wähler haben sich nach den Hartz-Reformen von der SPD abgewandt und unterstützen seitdem in großen Zahlen eine CDU, die ihnen immerhin nicht mehr verspricht, als sie halten kann. Anders scheint die Situation in den USA zu sein: 2008 wurde Barack Obama, mit dem Versprechen nach Wandel in das Präsidentenamt getragen. Nur zwei Jahre später verweigerten ihm die Wähler die Gefolgschaft und straften ihn seitdem mit einem republikanisch geführten Repräsentantenhaus ab. Obwohl der versprochene Wandel damit ausblieb, scheinen sich die US-Wähler nicht mit pragmatischen Ansätzen zufrieden zu geben. Mit Trump, Cruz, Rubio und Sanders unterstützen sie weiterhin Präsidentschaftskandidaten, die ihnen deutlich mehr versprechen, als sie halten können. Sie folgen Populisten, die ihnen Allheilmittel versprechen, die ein Präsident in dem dichten Kontrolldickicht der USA gar nicht liefern kann. Die ersten beiden Vorwahlen zeigten, dass moderate Kandidaten wie Hillary Clinton oder die zweite Reihe des republikanischen Bewerberfeldes in dieser Situation große Schwierigkeiten hat. Dabei dürfte ein Siegeszug populistischer Kandidaten nicht nur das ohnehin schroffe Niveau US-amerikanischer Präsidentschaftswahlkämpfe noch weiter verschärfen, jedweder Sieger würde vermutlich nur für weitere Enttäuschungen sorgen. Die Vorwahlsaison hat gerade erst angefangen, doch noch erscheint es zweifelhaft, ob sich pragmatische Politikkonzepte gegenüber schönen Versprechungen durchsetzen können und das Land somit vor dem Beginn einer Enttäuschungsspirale retten können.

Wo ist das Staatsversagen?: Horst Seehofer und seine CSU üben sich seit geraumer Zeit in möglichst schrillen Tönen. Vermutlich hoffen sie auf diese Weise, ein erstarken der AfD in Bayern zu verhindern. Ob dies gelingt ist unklar, auf jeden Fall stellen sich trotz Aufrufen, den Rechtsstaat außer Kraft zu setzen, Putin-Annäherungen und rechtspopulistischen Meinungsäußerungen keine Proteste aus den Reihen der Bevölkerung des Bundeslandes ein. Nun tönt der Chef der bayerischen Konservativen, von einer „Herrschaft des Unrrechts“ und impliziert mit seinen Parteikollegen regelmäßig Staatsversagen in Deutschland. Auch das Politikmagazing Cicero titelt mit vermeintlichem Staatsversagen. Angesichts über einer Million Flüchtlinge stellt mans ich jedoch die Frage, wo genau das Versagen dieses Staates eigentlich liegt? Im Gegenteil: Die Debatte scheint eher dazu geführt haben, dass die deutsche Öffentlichkeit Straftaten aus dem Einwanderermilieu stärker diskutiert und mehr über Integration gesprochen wird. Das Traurige: Zu dieser Debatte trägt die CSU nichts, überhaupt nichts bei. Sie verirrt sich ideologisch auf der Forderung nach der pauschalen Aufnahme weniger Flüchtlinge anstatt einen Beitrag dazu zu leisten, dieses Land voran zu bringen. Dies wiederum bedeutet, sich auf Integration, Rechtssicherheit und Bekämpfung der Fluchtursachen zu konzentrieren. Mit Moskaureisen, der Forderung, den Rechtsstaat bei Flüchtlingen auszusetzen und schrillem Populismus tut die CSU genau das Gegenteil.

Verfehlte und tödliche Integrationspolitik: In dieser Woche wurde es noch einmal bestärkt: Der Familiennachzug wird vorübgergehend ausgesetzt. Lediglich bei minderjährigen Flüchtlingen könne nach zwei Jahren eine Ausnahme gemacht werden. Dies ist aus zwei Perspektiven tragisch schädlich: Auf der einen Seite verhindert es Integration. Denn wie sollen Menschen in diesem Land ankommen, wenn sie sich weiter um ihre Familie sorgen machen müssen. Wie sollen Menschen sich an eine Kultur anpassen, die es ihnen verbietet, ihre Nächsten nachzuholen und damit einen Bezugspunkt in einer fremden Kultur haben. Gerade für minderjährige Flüchtlinge können Familienstrukturen Halt geben und die Anfälligkeit gegenüber radikalen Kräften deutlich senken. Dass gerade die Parteien, die die Bedeutung der Familie immer wieder betonen, auf diesem Verbot bestehen, ist an Heuchlerei kaum zu übertreffen. Auf der anderen Seite ist die Regelung zudem tödlich. Seit langem beschweren sich die C-Parteien und vor allem die CSU, dass zu viele junge, alleinstehende Männder ankämen. Der Witz: Häufig sind diese Männer nicht alleinstehend, sie wagen die Reise auch für ihre Familie, da sie die besten Chancen haben, die Reise zu überleben. Die Regelung wird dafür sorgen, dass sich verstärkt Frauen und Kinder auf den lebensgefährlichen Weg machen. Gut möglich, dass diese Entscheidung viele Leben kosten wird. Die SPD-Seite der Regierung spielt dieses perfide Spiel mit, angeblich hat sie diesen Einwurf der angeblich christlichen Regierungsparteien übersehen. Ein tödlicher Fehler, der auch durch die richtige Forderung, nach mehr finanziellen Anstrengungen bei der Integration, nicht gut gemacht werden kann.

Gäbe es doch nur eine Lügenpresse: Der Vorwurf der „Lügenpresse“ ist vielleicht einer der stärksten ideologischen Kräfte hinter dem Aufstieg rechtspopulistischer Kräfte im Lande. Befeuert wird dieser Vorwurf noch dadurch, dass populistische CSU-Politiker den Vorwurf weitertragen. Dabei zeigt die Krise eigentlich vor allem eins: Es wäre schön, wenn es eine solche Lügenpresse gäbe. Journalisten sind immer mehr bereit, abstruse Meinungen, vor allem kurze Twitter-Mitteilungen, zum Schwerpunkt ihrer Berichterstattung zu machen. Natürlich werden solche Äußerungen in Kommentaren immer wieder verdammt. Sie sorgen aber dafür, dass diese Gedanken in den politischen Diskurs kommen und sie verhindern, dass eine ernsthafte Debatte über mögliche Integrationsmaßnahmen nicht einmal entstehen kann. Die Prese ist längst nicht mehr der Ort, in dem Politiker und andere Vertreter der Elite mit überlegten Äußerungen eine Debate führen (können). Stattdessen versuchen vor allem die Online-Ableger der Qualitätszeitungen verzweifelt den jüngsten Trends in den sozialen Medien und den skandalösten Aussagen hinterherzurennen. Das hat nichts mit „Lügenpresse“ zu tun, sondern eher mit einer nutzlosen Presse. Denn mit einem ganzen Artikel über eine Handvoll Tweets hat kein Leser einen Informationsgewinn erhalten. Dazu bräuchte es konkrete Zahlen über Flüchtlinge, Straftaten, Polizeiarbeit usw. Das will aber entweder keiner mehr lesen oder keiner mehr liefern und so sind die Startseiten der großen Zeitungen in erster Linie ein perfektes Forum für die rechtspopulistischen Debattenkönige der Republik.

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