David and Goliath – Underdogs, Misfits and the Art of Battling Giants (von Malcolm Gladwell)

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Gladwell leitet sein Buch über Außenseiter und (vermeintlich) Benachteiligte mit einer Analyse des Kampfes zwischen David und Goliath ein. Aufgrund der spärlichen, in der Bibel angegebenen Informationen kommt er zu dem Schluss, dass David überhaupt nicht der Chancenlose war. Goliaths Größe rühre von einer Erkrankung, die sowohl sein Blickfeld als auch seine Bewegungsfähigkeit empfindlich eingeschränkt hat. Schleuderer wurden gezielt zur Verteidigung eingesetzt und waren auch in Rom noch sehr respektiert. David, der nach traditionellen Kriterien als chancenloser Außenseiter gilt, war also in dieser spezifischen Arena überhaupt nicht benachteiligt. Mit diesem Ansatz pickt sich Gladwell zehn Themenfelder – von Mädchenbasketballteams über Elite Universitäten bis hin zu der Polizeiarbeit in Problemvierteln und in Nordirland – heraus, in denen der vermeintliche Underdog letztlich gar nicht so schwach ist oder jemand eine Benachteiligung in eine Stärker umwandeln konnte.

„David and Goliath“ ist typisch amerikanisch: Es ist in einem ergreifenden Stil geschrieben und führt alle herkömmlichen Stilmittel an, um den Leser von dem vorgebrachten Argument zu überzeugen. Wir müssen unser Verständnis von Stärke und Schwäche verändern, ist die Schlussfolgerung von Gladwell. In dem, was normalerweise als Schwäche angesehen wird, liegen Stärken, die die Mächtigen dieser Welt herausfordern könnten. Dies wird mit einer Verve vorgetragen, dass man es glauben möchte.

Viele der vorgetragenen Erzählungen appellieren an den gesunden Menschenverstand. Wer sich selbst (z.B. durch ein Elite-College) zu sehr herausfordert, droht dort mit schlechten Noten abzuschließen, obwohl er an einer anderen Universität nicht nur genau so viel Lernen würde, sondern auch noch bessere Noten hätte (was zu mehr Lernen motiviert). Oder, dass Gruppendenken, beispielhaft an einer fatalen politischen Analyse während des Vietnamkrieges illustriert, kann gefährliche Auswirkungen haben. Genau so intuitiv erscheint die Lektion, dass Konflikte in Problemstadtteilen durch vertrauensbildende Maßnahmen der Polizei, die sich damit als Beschützerin der rechtschaffenen (und sozial benachteiligten) Bewohner des Viertels darstellt, besser gelöst werden können als durch einen konfrontativen Stil.

Häufig handeln die Erzählung somit nicht immer von „Underdogs“. Sie zeigen häufig eher, wie der vermeintlich Mächtige durch falsche Entscheidungen ein „sicheres“ Spiel verlieren kann (wie z.B. in Nordirland). Dies ruft immer wieder in Erinnerung, dass David nach Gladwells Analyse eigentlich auch kein „Underdog“ war, sondern lediglich seine Arena ausgesprochen gut wählte. Dies wirft die Frage auf, welche Einflussmöglichkeiten die Benachteiligten haben, die sich ihre Arena nicht selbst wählen können. Was hilft latente Stärke, wenn sie nur ausgespielt werden kann, weil Mächtige (wie oben beschrieben) den Weg der vielversprechendsten Konfliktlösung verlassen?

Die Antwort könnte von den Erzählungen, die auf der persönliche Ebene angesiedelt sind, kommen: Hier wird z.B. auf die Stärke verwiesen, die Menschen mit Dyslexie oder schwierigen Kindheiten entwickelt haben, um sich zu behaupten. Oder es wird auf die Vorteile großer Klassen in sozial schwachen Gegenden verwiesen. Dies gibt Hoffnung, dass auch mit Benachteiligungen mit dem notwendigen Willen und Esprit selbst gesteckte Ziele erreicht werden können (oder gar revolutionäre Behandlungsmethoden entwickelt werden können, Kapitel 5). Viele dieser Berichte sind sehr beeindruckend, z.B. wenn es einem französischen Dorf gelingt, Juden vor den Nazis zu schützen, oder zwei Familien völlig unterschiedlich auf den Mord an ihrer Tochter reagieren (die eine entwickelte die fatale Three-Strikes-Doktrin, die andere praktizierte Vergebung). Der systematische Schluss, „Underdogs“ könnten in der Regel Vorteile haben, wenn sie die Spielregeln kreativ anwenden, ist damit jedoch gewagt.

Denn dem stehen wiederum viele Beispiel gegenüber, in denen Widerstand durch Willenskraft nicht funktioniert. Beispiele, in denen sich menschenwürdige Justizsystem durchsetzen oder die Polizei in sozialen Brennpunkten vor allem als Feind auftritt, gibt es zur Genüge. Gleichzeitig dürften sehr gute Bewerber mittelmäßiger Universitäten vielleicht einige Bewerber von Ivy-League Universitäten im Kriterium „Noten“ hinter sich lassen, und doch an dem Kriterium des „Prestiges“ scheitern. Genau leiden andere Menschen ihr Leben lang unter Dyslexie, ihrer grausamen Kindheit oder anderen Benachteiligungen. Die Botschaft des Buches müsste daher etwas anders formuliert werden: Kritisches Hinterfragen, der notwendige Wille und die Analyse des jeweiligen Umfeldes ermöglichen es, gewisse Nachteile auszugleichen bzw. (im Nachhinein) offensichtliche Fehler zu verhindern. Gladwells These „die Mächtigen und Starken sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen“ dürfte weitaus weniger verallgemeinbar sein, als sein Buch es suggeriert.

Daher liest man „David and Goliath“ am Besten als Sammlung inspirierender Geschichten, die vor offensichtlichen Fehlern warnen und die faszinierende Fähigkeit von Menschen illustrieren, gegen alle (großen und kleinen) Widrigkeiten ihren Weg zu finden. Gladwells Anspruch, aus seinen Berichten generelle Regen abzuleiten, überliest man dabei besser.

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