Gedankensplitter 02/2016

Kippende Stimmung (I) – Die Informationslage: Die schrecklichen Ereignisse der Neujahrsnacht in Köln haben die vergangene Woche bestimmt. Entsetzend ist wie die Informationslage von jedem Tag verwirrender wird. Widerliche Tätereinstellungen, verzweifelte Bemühungen der Polizei eigenes Versagen zu Vertuschen und politische Bewegungen, die die Ereignisse umgehend für sich instrumentalisieren möchten, machen es nicht leicht einen Überblick zu erhalten. An einem Tag wird von organisierten marrokanisch-algerischen Banden berichtet, am anderen Tag sind es Flüchtlinge und die Opposition in NRW hat nichts besseres zu tun als den nordrhein-westfälischen Innenminister (!) des Versagens zu bezichtigen. Auf diese Weise werden die Vorfälle nicht aufgeklärt, auf diese Art werden die berechtigten Bedenken angesichts der unklaren Nachrichtenlage nicht widerlegt.

Kippende Stimmung (II) – Die Scheinheiligen: Die Debatte fokussiert sich dabei hauptsächlich auf die sexuelle Gewalt, die von Migranten ausging. Diejenigen, dies nun lautstark monieren (mit Ausnahme der ähnlich einseitig argumentierenden Alice Schwarzer vielleicht), haben zuvor wenig getan, um Gewalt gegen Frauen stärker zu ahnden. So verweist zum Beispiel der Seeheimer Kreis innerhalb der SPD auf seiner Facebook-Seite darauf, dass ein Gesetzesentwurf zur Strafverschärfung bei sexueller Gewalt schon seit einer Weile von der Union blockiert wird. Angesichts einiger Schätzungen, wonach ungefähr jede dritte Frau in Deutschland im Laufe ihres Leben ernste sexuelle Gewalt widerfährt (und das somit bei weitem nicht nur von Migranten) ein starkes Ding. Es bleibt also zu wünschen, dass die Konservativen Politiker, die jetzt groß mit Frauenrechten rumposaunen, diese demnächst auch praktisch umsetzen.

Kippende Stimmung (III) – Die Hysterie und die CSU: Ein großes Problem ist natürlich der schrille Ton der Debatte. Unionspolitiker, denen der Kurs der Kanzlerin schon lange zu weit geht, sehen ihre Chance gekommen. Sie tun nun alles, um mit strengeren Asylverschärfungen (zusätzlich zu den bereits beschlossenen) ihr Klientel zurück in den Tiefschlaf zu schicken. Die CSU geht sogar so weit, von „Schweigekartellen“ in den Medien zu sprechen und sich damit endgültig mit Pegida-Slang auf eine Ebene zu begeben. Die Aufgabe seriöser Parteien wäre es, die Debatte zu Sachthemen und Fakten zurückzubringen, sodass eine tatsächlich Auseinandersetzung über Lösungsmöglichkeiten möglich ist. Stattdessen ziehen sie es vor, das Niveau der Debatte nur nach unten zu ziehen. Für angeblich staatstragende Parteien, wie sich die Unionsparteien manchmal ja doch bezeichnen, ist das ein erbärmliches Bild.

Kippende Stimmung (IV) – Die Hysterie und die Armlänge: Allerdings müssen sich alle Seiten etwas an die eigene Nase fassen. Die von konservativen Parteien (und den Grünen) unterstützte Bürgermeisterin Henriette Reker wurde angesichts der Kölner Straftaten vor ihre erste politische Krise als Oberbürgermeisterin gestellt. Bei der Pressekonferenz rutschte ihr ein gedankenloser Spruch über „eine Armlänge Abstand“ heraus, die Frauen zu verdächtig aussehenden Männern halten sollten. Diese (implizite) Schuldzuweisung in Richtung Opfer löste Empörung aus. Dies ist in gewissem Maße auch gerechtfertigt, nachdem Frau Reker ihre Ansichten noch einmal bestätigte. Im ersten Moment hätte man sich eine ruhigere Reaktion gewünscht. Denn erstens ist hier eine frühere Verwaltungsbeamte mit ihrer ersten öffentlichen und politischen Krise konfrontiert, man mag ihr solch einen impulsiven Anfängerfehler durchaus zugestehen. Und zweitens würde ich nach dem schockierenden Attentat, das auf Oberbürgermeisterin Reker im Oktober verübt wurde, die Anweisung einer Armlänge Abstand auch verinnerlicht haben (vermutlich ist dieser Vergleich völlig unangebracht, dennoch war dies mein erster Gedanke und nicht „Wie kann die Oberbürgermeisterin es wagen, so etwas zu denken“). Wenn man über hysterische „besorgte Bürger“ klagt, sollte man nicht selbst hysterisch über andere klagen.

Kippende Stimmung (V) – Das Politikspiel und die CDU: Wie die CSU verhält sich auch die CDU unverantwortlich – nur etwas weniger unverantwortlich. Positiv: Die Christdemokraten schießen sich zumindest nicht auf die Medien ein. Negativ: Auch ihre Forderungen sind hauptsächlich Symbolpolitik. Die Polizei hat ja unter anderem auch deswegen nicht eingeschritten, weil sie sich unterbesetzt sah. Es ist also die Frage, ob nicht eher die Ausstattung des öffentlichen Dienstes (unter anderem unter Druck aufgrund des Fetischismus der schwarzen Null einiger Unionspolitiker) unterdurchschnittlich ist. Auch ist die Gesetzeslage in der Regel ausreichend, wie der rheinland-pfälzische Innenminister Lewentz betont. Auf die Umsetzung kommt es nun an. Stattdessen versucht die Union lieber, den Schwarzen Peter der SPD zuzuschieben und behauptet, diese müsse endlich einem weiteren Asylpaket zuzustimmen und sozusagen „unpopuläre Entscheidungen“ (Tauber) fällen. Was er übersieht: Eine sachliche Flüchtlings- und Asylpolitik, eine tatsächliche Auseinandersetzung mit notwendigen Strafrechtsverschärfungen im Bereich sexueller Gewalt und eine ernsthafte Integrationspolitik, die über Parolen nach einer „Integrationspflicht“ ohne finanzierten Integrationsangeboten daherkommt, ist derzeit in der aufgeheizten Stimmung unpopulär und schwerlich durchzusetzen. Dafür müsste die Union den Mut haben, diese unpopulären Entscheidungen endlich zu treffen, um Flüchtlingen und auch den Ärmeren in dieser Gesellschaft gute Perspektiven zu bieten.

Kippende Stimmung (VI) – Der Balanceakt der SPD: Obwohl die SPD (wie im obigen Abschnitt angerissen) inhaltlich die substantielleren Antworten hat, gelingt es ihr wieder einmal nicht, diese solide zu verkaufen. Während der Parteivorsitzende Gabriel sofort nach strengeren Abschieberegeln ruft, verweist der Seeheimer Kreis auf die Blockadeaktionen der Union bei der Strafverschärfung im Bereich sexueller Gewalt. Während die inhaltliche Beschlusslage und die meisten Politiker einen Weg der Vernunft und der Sachdiskussion beschreiten, gibt es auch hier einzelne Lautschreier. In dieser Situation wünscht man sich eine SPD-Führung, der es in dieser Situation gelingt die Zügel in der Hand zu halten und ein kohärentes, wenn vielleicht auch unpopuläres Programm energisch zu vertreten.

Demokratie, Osteuropa und die Union: Neben den Ereignissen in Köln sind die besorgniserregendsten Ereignisse wohl in unserem Nachbarland Polen, dessen Regierung sich jüngst nach dem Verfassungsgericht auch noch die öffentlichen Rundfunksender Untertan gemacht hat. Wie soll die EU funktionieren, wenn ihre normative Basis, die demokratische und rechtsstaatliche Ordnung in immer mehr Mitgliedsstaaten untergraben wird? In dieser Woche betonte Ungarns Premier Orban, dass er EU-Reaktionen auf den polnischen Demokratieabbau in keinem Fall zustimmen würde. Die Union, in deren europäischer Partei Orban noch immer ein Mitglied ist, steht damit vor einem Problem, das von deutschen Medien gerne ignoriert wird: Horst Seehofer berät sich gerne mit Orban, wenn es um die bayerische kritische EU-Linie geht. Wenn sich Unionspolitiker jetzt darüber Gedanken machen, wie man die Demokratie in Polen stützen könnte, dann ist das gut. Wichtig ist aber auch, dass sie in ihren eigenen politischen EU-Parteien und -Fraktionen darauf achten, dass demokratische Standards gewahrt bleiben. Die Sozialdemokratische EU-Partei hat ein ähnliches Problem mit der slowakischen SMER: Hier gibt es regelmäßig Ausschlussdrohungen, die dazu führen, dass führende SMER-Politiker radikale Positionen zu Flüchtlingen wieder zurück nehmen. Von der Konservativen EU-Partei hat man noch kein Verhalten in diese Richtung erlebt. Auch hier wäre ein staatstragenderes Verhalten, denn es ist in Deutschlands Sinn, dass die EU ihren demokratischen Charakter bewahrt, notwendig.

 

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