Über das Politische (von Chantal Mouffe)

über das politischeChantal Mouffe setzt sich in einem kämpferischen Essay mit dem Wesenskern der Politik auseinander. Aufbauend auf Überlegungen des Staatstheoretiker Carl Schmitt kommt sie im Kern zu der Erkenntnis, das Politik von Widersprüchen lebt. Diese Widersprüche werden aber in jüngeren Theorien von Ulrich Beck, Anthony Giddens und Jürgen Habermas ignoriert. Auch in der Gesellschaft konnte sich der „Konsens“ eine immer höhere Stellung erkämpfen mit dem Ergebnis, dass Machtzusammenhänge und Gegensätze eher verdeckt als ausdiskutiert werden. Aus Mouffes Sicht bedarf es zunächst der Erkenntnis, dass dies Antagonismen weiterhin existieren und anschließend den Schritt, diese in Agonismen zu verwandeln – in einen friedlichen, demokratischen Wettstreit um den richtigen Weg.

Mouffes These erscheint erst einmal nicht besonders originell. Zehn Jahre nach der Veröffentlichung des Originals ist jedoch beachtlich, wie präzise sich die von ihr gewählten Beispiel weiterentwickelt haben. Aus Mouffes Sicht tritt das Problem einer kosmopolitischen, konsensorientierten Perspektive vor allem hinsichtlich des Rechtsextremismus und der internationalen Politik zutage. Enttäuscht von den fehlenden Unterschieden zwischen den Mainstream-Parteien, zuvorderst der linken Parteien, die es im Rahmen des Dritten Weges aufgegeben haben, eine wirkliche Alternative gegen neoliberale Politik zu entwerfen, wenden sich Menschen mit ihren Sorgen rechtspopulistischen Parteien zu. Was 2005 noch wie eine schrille Warnung klang, ist angesichts der vielen erfolgreichen rechtspopulistischen Bewegungen in Europa heute eine realistische Einschätzung. Denn in vielen Fällen sind es enttäuschte Arbeiter und Angestellte, die sich den neuen rechten Bewegungen anschließen. Gleiches gilt für die internationale Politik: Aus westlicher Perspektive muss es eigentlich einen Konsens über Themen wie den Klimawandel oder aber gar internationale Terroristenbekämpfung geben. Auch hier zeigt sich angesichts der Ukraine-Krise, der Krise im Nahen Osten und der nicht wirklich vielversprechenden anstehenden Klimaverhandlungen, dass diese Perspektive den Blick auf einen Pluralismus an Machtinteressen verstellt und damit kaum zum Erfolg führen kann.

Mouffe setzt sich in ihrem Essay immer wieder mit den Argumenten anderer Theoretiker wie Beck oder Habermas auseinander. Die Betrachtung ist einfach dargestellt, wirkt beinahe etwas oberflächlich, ist aber die einzige Art, wie das Argument auch Lesern zugänglich gemacht werden kann, die die jeweils angegriffenen Werke der Theoretiker nicht kennt. Im Kern wirft Mouffe den Verfechtern einer kosmopolitischen Perspektive jedoch vor, Politik lediglich in moralischen Kategorien zu verstehen. Der dritte Weg zum Beispiel fokussierte sich nicht auf Umverteilung oder Machtfragen, sondern darauf, die moralisch bessere Politik (z.B. in Einwanderungsfragen) zu machen. So stempelte man konservative Parteien z.B. wie in Großbritannien als die „nasty party“ ab und sah sich selbst im moralisch besseren Licht. Auch in der jetzigen Flüchtlingskrise argumentieren Politiker in erster Linie in moralischen Kategorien („Integrationspflicht“) anstatt über Sach- (Was wird für Integration geleistet?) oder Machtfragen (Wie schützen und verbessern wir das Niveau aller geringverdienenden Arbeitskräfte in Deutschland?) gedacht. Diese moralische Kategorie mag zunächst überzeugen. Doch in einer Enttäuschungsphase wenden sich die Wähler der einzigen Alternative zu: Einer anderen Moral.

Insofern ist Mouffes Appell, Gegensätze und Machtfragen nicht mehr zu verdecken, sondern direkt anzusprechen und in demokratische Gegensätze (also Wahloptionen oder wie sie es in einem etwas anderen Kontext als hier verwendet ausdrückt: Agonismen) zu verwandeln, höchst aktuell. Angesichts der längst an Konsens gewöhnten Bevölkerung müsste heute aber auch die Frage gestellt werden, wie man aus der „Moralkategorie“-Falle wieder herauskommt und machtpolitische und verteilungspolitische Fragen wieder ein Forum bieten kann, in dem Gegensätze zu tagen treten können. Gelingt dies nicht, wird es die Gesellschaft rechtspopulistischen Kräften weiterhin leicht machen, sich als die einzige Alternative zu präsentieren.¹

¹ Genau so wichtig ist zu lernen, mit pluralistischen Verhältnissen auf der internationalen Ebene umzugehen. Hier finde ich Mouffes Argument etwas schwächer, die Frage wie man mit Diktaturen umgeht lässt sich nun einmal nicht in einem knappen Essay lösen. Da ich mich mit internationaler Politik nicht viel beschäftige, ist dieser Aspekt in der Besprechung in den Hintergrund getreten. Den Pluralismus anzuerkennen, Machtverhältnisse und -bedürfnisse in Betracht zu ziehen und sie in einigen Punkten zu akzeptieren, ist vermutlich aber tatsächlich eine Voraussetzung für friedliche Lösungen und etwas Fortschritt in der Demokratie- und Freiheitsförderung.

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