Die drei Seiten der Flüchtlingsdebatte

Seit dem Spätsommer hält die Flüchtlingsdebatte das Land endgültig im Bann. Die Medien sowie verschiedene gesellschaftliche Akteure heizen das Thema regelmäßig an. Offiziell betonen alle Politiker, kein Kapital aus dem Leid tausender Menschen schlagen zu wollen. Gleichwohl versucht jede Partei sich auf diesem Feld möglichst vielversprechend zu positionieren. Diese Woche zeigt, dass die politische Diskussion hauptsächlich innerhalb der Regierungsparteien selbst stattfindet. Interessanterweise finden weder die besonders flüchtlingskritische AfD eine besondere Stimme in den Medien, noch gelingt es den Grünen oder der Linken eine eigene Note in dieser Situation zu setzen. Stattdessen bestimmten drei andere Episoden die Debatte in dieser Woche.

  • Am Donnerstag Abend stellte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in einem Einzelinterview Anne Will. Ungewöhnlich deutlich macht sie klar, dass es für sie keine Alternative zum „Wir schaffen das“ gibt. Das Interview ist ungewöhnlich, Angela Merkel positioniert sich klar und eindeutig, ihre Hauptaussage lässt wenig Spielraum für Interpretation. Gleichzeitig ist ihr Ansatz in Einklang mit ihrem bisherigen Politikstil: Einmal mehr gibt es zu ihrer Position keine Alternative, ein „Wir schaffen das nicht“ ist selbstverständlich keine Lösung. Insofern prägt sie eine plakative Position, hinter der ihre Vorschläge, die Situation zu verbessern, verblassen.
  • Am Freitag setzte Horst Seehofer (CSU) einen ganz anderen Ton: Er kündigte Verfassungsklage an, sollte die Bundesregierung den Flüchtlingsstrom nicht zügig, mit aktiven Maßnahmen begrenzen. Niemand hat eine Ahnung, welche Grundlage diese Klage genau haben soll. In erster Linie soll die Aussage zeigen, die CSU ist eher gegen Einwanderung – das dazugehörige Maßnahmenpaket des Freistaates zur Integration ging in der Diskussion verloren.
  • Am Sonntagabend gelang es Sigmar Gabriel (SPD) nicht die auf dem Zukunftskongress seiner Partei vertretene Position auch im ZDF zu präsentieren (siehe Youtube-Interview). Die SPD glaubt, dass eine bis eineinhalb Millionen Menschen zu viel für die (Aufnahme-, Bildungs- und Wohnungs-)Strukturen im Land sind. Die ZDF-Journalistin Schausten verstand unter dieser Aussage eine Obergrenze. Dies sieht zumindest der SPD-Vorsitzende nicht so: Die Flüchtlinge in diesem und eventuell dem kommenden Jahr wird man nicht aufhalten können. Wohl aber muss man etwas daran ändern, dass so viele Menschen die Notwendigkeit sehen, ihr Land zu verlassen. Während Gabriel von Maßnahmen in den Herkunftsländern, von einem europäischen System und von einem zügigeren Ausbau der Kapazitäten für Flüchtlinge (und Bundesbürger) sprach, kehrte Schausten immer wieder zu der Obergrenze zurück. Das Ergebnis: Eine wirklich Debatte um die sozialdemokratischen Forderungen war nicht möglich.

Diese drei Politiker sind die Vorsitzenden der drei regierenden Parteien. Ihre Vielstimmigkeit ist angesichts der breiten Wählerschaft, die die drei „Volksparteien“ vertreten, nicht überraschend. Schwierig ist jedoch, dass diese drei in ihren Partei- und Regierungsfunktionen auch die Bundesregierung repräsentieren. Was sagt es über die Debattenkultur aus, wenn die beiden polarisierend formulierten Ansätze „Wir schaffen das“ und „Wir stoppen das“ alle Aufmerksamkeit auf sich vereinen, obwohl sich dahinter differenziertere Ideen verbergen? Was sagt es über die Debattenkultur aus, dass der pragmatische Ansatz, der die Situation akzeptiert, eine ähnliche Situation in der Zukunft aber verhindern möchte, kein Gehör findet? Trotz des das Asylrecht verschärfenden Gesetze, das in der kommenden Woche im Bundestag beschlossen werden soll, bietet die Regierung hier weder eine klare Linie, noch die Grundlage für eine regierungsinterne, offene Diskussion. Wenn Sigmar Gabriel auf unkoordinierte, zerstrittene Unionsflügel verweist, die eine sachliche Diskussion verhindern, erscheint das erst einmal wie ein taktischer Schlag gegen den politischen Gegner. Wenn sein Vorstoß, über konkrete Schritte zu diskutieren, wie  heute Abend im populistischen Gebrülle untergeht, dann erscheint dieser Vorwurf jedoch erschreckend relevant.

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