Auf dem Weg zu Swann (von Marcel Proust)

adsndvz1„Auf dem Weg zu Swann“ ist der erste Teil des sieben bändigen Romanzyklus Prousts, den der Reclam-Verlag gerade neu übersetzen lässt. Der erste Band gliedert sich in drei Abschnitte. Unter dem Titel „Combray“ erinnert sich der Ich-Erzähler an seine Kindheitsaufenthalte auf dem Land, seine Schwierigkeiten einzuschlafen sowie die vielen kleinen Dispute in seiner Familie. „Eine Liebe Swanns“ schildert aus der dritten Person die Begegnung des polyamurösen Swanns mit einer bürgerlichen Frau und die daraus resultierende, von starken Eifersüchten begleitete Affäre. Der kurze Abschluss „Ländliche Namen: Der Name“ schildert die ersten Begegnungen des Ich-Erzählers mit Swanns Tochter Gilberte auf dem Champs Elysee. Trotz dessen jungen Alters entwickelt er dabei bereits ähnliche Eifersüchte und Verhaltensweise wie der deutlich ältere Swann zuvor.

Proust beginnt in diesem Roman eine eindringliche Schilderung der Erinnerung eines Ich-Erzählers, der auf sein Leben und die darin verlorene Zeit zurückblickt. In äußerst gehobener Sprache beginnt der Roman mit Kindheitserinnerungen, die lediglich von einem Exkurs in das Leben Swanns unterbrochen werden. In beiden Erzählungen sind die Beobachtungen außerordentlich dicht und eindringlich. Gleichzeitig kommunizieren sie viele kleine und größere Konflikte zwischen den Familienmitgliedern und Bekannten der Protagonisten.

In der Regel sind die geschilderten Ereignisse äußerst unwichtig. Für den jungen Ich-Erzähler ist die Vorstellung, ohne den Kuss seiner Mutter schlafen zu gehen, eine große Qual. Daher überlegt er sich nicht nur stundenlang, wie er seiner Mutter diesen Kuss abtrotzen kann, sondern schildert dies seitenlang in dem Roman. Gleichzeitig werden einer exzentrischen Tante sowie einigen Dorfbewohnern Platz eingeräumt. Deren Leben dreht sich in erster Linie um das Beobachten anderer Menschen. Hierbei kann für die Familie auch ein nicht gegebener Gruß bereits den Grund für lange Reflektionen über einen möglichen Konflikt geben. Swann geht es nicht anders: In seiner immer fanatischeren Liebe zu Odette wird er von Eifersüchten und der durch gesellschaftliche Konventionen erzwungenen Zurückhaltung zerfressen. Durch eine nicht immer offene Kommunikation mit seiner Angebeteten wird jede Tat derselben von Swann endlos interpretiert und auf mögliche Konsequenten für seine Beziehung zu ihr geprüft. In diesem Zusammenhang wirken die persönlichen Konflikte aus Odettes und Swanns Umgebung auf den Leser so unwichtig wie auf Swann selbst, während Swanns Gefühle, obgleich letztlich ähnlich belanglos, zu einer großen Bedeutung anwachsen.

Insofern reist die eindringliche Beschreibung Prousts, die ausgiebige Darstellung Swanns Eifersüchteleien den Leser unausweichlich mit. Obwohl dem Leser das Ende, von einer skandalträchtigen Hochzeit wird bereits im ersten Teil berichtet, bekannt ist, bleibt jeder Schritt Swanns eine Erlebnis. Swanns Auseinandersetzung mit seinen Gefühlen, seine immer wieder auftretenden rationalen Momente, die doch nicht gegen sein Verlangen und seine Verzweiflung ankommen können, bleiben als eindrucksvolle Darstellung der Eifersucht zurück. Aber auch die präzisen Beschreibungen des kindlichen Ich-Erzählers für den zunächst tägliche Rituale sowie Dorfbegegnungen von größter Wichtigkeit sind bis sie zu regelmäßigen Begegnungen mit Swanns Tochter Gilberte abgelöst werden, bauen eindringliche Schilderungen der Unwichtigkeit auf.

Der Eindruck der Belanglosigkeit verschwindet immer dann, wenn die Protagonisten mit ihren Gefühlen in kleinen Themen verstrickt sind. Die Handlung erhält damit gelegentlich einen mitreißenden, fast fatalistischen Ton. Letztlich sind die meisten Hauptcharaktere nämlich nicht Herren ihres eigenen Lebens sondern ihren Gefühlen ergeben. Sie können versuchen, gegen sie anzugehen, unterliegen ihnen am Ende aber doch. Insofern nutzen sie ihre Zeit nicht dafür, was sie (erreichen) wollen, sondern hauptsächlich um ihren Gefühlen nachzugehen. Dies wird freilich hauptsächlich durch einen vermögenden Familienstand – kaum jemand im Roman muss einer tatsächlichen Arbeit nachgehen – ermöglicht. Trotz dieser materiellen Freiheit, sind die Protagonisten aber den gesellschaftlichen Regeln und ihren eigenen Emotionen unterlegen. Dieser Zustand ist in „Auf dem Weg zu Swann“ (vor allem im Teil „Eine Liebe Swanns“) auf äußerst eindringliche Weise, gepaart mit vielen detailreichen Beobachtungen, geschildert.

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