Demokratische Ignoranz
|Die griechische Bevölkerung soll in einem Referendum über die Fortsetzung des Sparkurses abstimmen. Sie steht vor der Wahl, dem Angebot der Geldgeber zuzustimmen oder sich für einen mutmaßlichen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone zu entscheiden. Nach wochenlangen, müseligen Verhandlungen bewegt sich die Euro-Krise damit auf einen weiteren dramatischen Punkt zu. In der deutschen Bundesregierung mag man zwar das demokratische Recht der griechischen Bevölkerung, über ihre Zukunft zu entscheiden, anerkennen. Gleichzeitig zeigt die Bundeskanzlerin jedoch deutlich auf die griechische Regierung und schiebt ihr die Schuld für das Scheitern der Verhandlungen zu. Dabei wird sie von ihrem Vize-Kanzler unterstützt. Beide betonen, dass sie die griechische Bevölkerung für mündig genug halten, richtig mit dem Referendum umzugehen. Gleichzeitig ignoriert vor allem die Bundesregierung seit Jahren die mündigen Wünsche der griechischen Bevölkerung.
Zur Erinnerung: Die griechische Haushaltskrise kam im Frühjahr 2010 an die Öffentlichkeit. Die gerade erst im Herbst 2009 ins Amt gewählte sozialdemokratische Regierung des Ministerpräsidenten Papandreous musste in Europa um Hilfe bitten. Während die Zinsen griechischer Staatsanleihen explodierten und Ratingagenturen die Bonität des Landes regelmäßig heruntersetzten, entschied die CDU während des Landtagwahlkampfes 2010 erst einmal nichts zu tun beziehungsweise Hilfen auszuschließen. Nachdem man zuvor Opel Hilfen verweigerte, erschien es wahlkampftaktisch unklug, einem EU-Partner anzubieten. So setzten erste Hilfsanstrengungen viel zu spät ein, nämlich nach der Landtagswahl.
Die Hilfen wurden mit strengen Sparauflagen versehen. Obwohl die Parlamentswahl 2009 bereits wegen einer miserablen Wirtschaftslage vorgezogen wurde, sollte sich die sozialdemokratische Regierung nicht um einen Wirtschaftsaufschwung kümmern, sondern den Umfang des griechischen Staatshaushaltes drastisch reduzieren. Sowohl für die Vergangenheit als auch für die Gegenwart ist umstritten, welche ökonomischen Instrumente in dieser Situation am hilfreichsten gewesen wären. Für eine demokratische Staatengemeinschaft wäre es jedoch unabdingbar gewesen, jedwede Maßnahme demokratisch zu legitimieren.
Genau dies versuchte der ehemalige Regierungschef Papandreou, obgleich unter hohem äußeren Druck, zu erreichen: Im November 2011 setzte er bereits ein Referendum über einen möglichen Schuldenschnitt und die damit verbundenen Sparauflagen an. Unter internationalem Druck zerbrachen nicht nur diese Pläne, sondern auch die sozialdemokratische Regierung Griechenlands. Die Sparpolitik wurde fortgesetzt, ohne demokratische Legitimation und mit einer im Anschluss mehrheitlich konservativen Regierung.
Anstatt die Sparbemühungen immer auch mit Investitionshilfen zu verknüpfen, die der Bevölkerung wenigstens eine Perspektive bieten würde, ließen die Euro-Regierungen die konservative Regierung genau so im Stich wie die sozialdemokratische Regierung. Insofern war der Wahlsieg der linken Syriza kein Wunder. Die demokratischen Regierungen der Euro-Zone haben den genau so demokratischen Regierungen in Griechenland seit 2010 kaum eine Wahl gelassen und ihnen dabei aber keine nachhaltigen Maßnahmen aufgedrückt. Stattdessen wurde ihnen von Troika-Beamten ein merkelsches Durchwurschteln, verbunden mit ständigen (und in einigen Punkten wohl auch berechtigten) Kritiken an mangelndem Reformwillen aufgezwungen. Dass dies nicht ewig mitgetragen werden würde, müsste demokratischen Regierungschefs eigentlich klar sein.
Dabei hätte es zum Beispiel 2011 durchaus noch die Chance gegeben, dass eine griechische Regierung zusammen mit den Euro-Gruppen Ländern für ein „Ja“ im Referendum geworben hätte. Nun wirbt der aktuelle Regierungschef Tsirpas für ein „Nein“ und die Zukunft Griechenlands – und des Euro-Raums – ist wieder einmal offen. Es ist daher keine Überraschung, dass die griechische Regierung sich für eine politische und demokratische Lösung des Verhandlungsstreites auspricht. Es ist hingegen seit Jahren überraschend, dass sich die europäischen Demokratien nie für solch eine demokratische, am Ende aber auch verbindliche Entscheidung durch die griechische Bevölkerung ausgesprochen haben.