Sachfreie Wahlkämpfe
|Am Donnerstag wählt das Vereinigte Königreich eine neue Regierung. Weniger als eine Woche vor der Wahl sorgt die Geburt königlichen Nachwuchses jedoch für mehr Schlagzeilen als einzelne Etappen des Wahlkampfes. Obwohl alle Umfragen darauf hindeuten, dass das Ergebnis des Urnenganges spannender als alle vorherigen Wahlen im Königreich sein wird, bietet der Wahlkampf wenig substantielle inhalte. Er steht dabei symptomatisch für einen Trend substanzloser Wahlkämpfe, die von Wegducken und asymmetrischer Mobilisierung der Regierungsparteien geprägt ist.
Probleme hat das Königreich genug. Die Schuldenkrise, die die teure Bankenrettung nach der Finanzkrise ausgelöst hat, ist bei weitem nicht vorbei: Auch in der nächsten Legislaturperiode stehen dramatische Einsparungen an. Außerdem befindet sich das Land in einer sozialen Schieflage. So genannte „Zero Hour Contracts“, Verträge, in denen der Arbeitnehmer sich verpflichtet, jederzeit Bereit zu stehen, ihm aber vom Arbeitgeber keine Stunden garantiert werden, greifen immer weiter um sich. Wenn von guten Arbeitslosenzahlen geredet wird, werden die Arbeitnehmer in diesen ausbeuterischen Vertragsformen weitestgehend verschwiegen. Die Unzufriedenheit im Land wird auch durch die mangelnde Unterstützung für die Regierungsparteien deutlich: Die Konservativen und die Liberaldemokraten können zusammen gerade einmal etwas unter 40% der Wählerstimmen auf sich vereinigen. Für ein Land, in dem eigentlich eine Regierungspartei dank des Mehrheitswahlrechtes eigentlich mit etwa 40% allein ins Amt gewählt wird, ist das ein äußerst schwaches Zeichen. Jahrelang lag die oppositionelle Arbeiterpartei in Umfragen vorne. Seit einem knappen halben Jahr liegen sie mit den Konservativen gleich auf – wohlweislich nicht durch einen konservativen Aufwind, sondern weil ihnen schottische Nationalisten Hochburgen in Schottland streitig machen. Dadurch steht das Königreich vor der spannendsten Wahl seit Jahrzehnten: Weder ist klar, welche Partei die stärkste wird, noch in welcher Regierungskoalition das Land anschließend regiert wird. Für das Mehrheitssystem des Vereinigten Königreiches ist das eine aufrgende Situation.
Und trotzdem findet in dem Wahlkampf keine richtige Debatte statt. Die Konservativen entziehen sich – ganz im Stile der deutschen CDU – aller substantiellen Auseinandersetzung. Man wagt es sogar mit der Ankündigung, 12 Milliarden Pfund einzusparen in den Wahlkampf zu ziehen, ohne zu benennen an welchen Stellen dies geschehen soll. Die Arbeiterpartei wiederum bemüht sich grundständig darum, Themen zu setzen. Doch mit dem Einfrieren von Energiepreisen, besseren Mitsituationen und geringeren Studiengebühren kann sie sich nicht richtig durchsetzen – mit Schottland ist ihr de facto die Machtbasis weggefallen. Denn die dortigen knapp 60 Parlamentssitze, die vermutlich an die schottischen Nationalisten gehen werden, tun nicht nur weh, sondern sind die größte Munition im konservativen Wahlkampf: Die Regierung wirft der Arbeiterpartei hauptsächlich vor, mit den Nationalisten eine Koalition bilden zu wollen. Wie in manchen deutschen Wahklämpfen die Linkspartei wird die Koalitionsfähigkeit der schottische Nationalpartei somit zum Hauptwahlkampfthema im Vereinigten Königreich.
Aufgrund der knappen Situation stellen einige Beobachter fest, dass die Demokratie im Vereinigten Königreich zwar kompliziert aber so lebhaft wie lange nicht mehr ist. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Wenn es im Wahlkampf weder um Personen noch um Konzepte geht, sondern einzig um die Frage, wer mit wem auf irgendeine Weise eine Mehrheit bilden kann, dann ist das auf Dauer tödlich für den demokratischen Diskurs. Das Idealbild, indem vor allem um Konzepte gestritten wird, kann und wird nie erreicht werden. Und natürlich ist es verständlich, dass Regierungsparteien in erster Linie versuchen, sich selbst aus der Schusslinie zu ziehen, indem sie den Wahlkampf entpolitisieren. Beispielsweise ist das der deutschen CDU 2013 außergewöhnlich gut gelungen. Die französischen Konservativen wiederum haben mit einer dediziert rechten Kampagne ihre Regierungsmehrheit verloren. Man könnte die Liste an Beispielen verlängern, der derzeitige Eindruck deutet daraufhin, dass ein ruhiger Wahlkampf für eine konservative Regierung besser ist als ein profilstarker.
Und dennoch: Nach der Wahl müssen 12 Milliarden Pfund konkret eingespart werden. In solchen Fällen muss man der Bevölkerung die Chance geben, über die besten Spar- oder Gestaltungskonzepte abzustimmen. Auf Dauer wird die immer weiter wachsende Entfremdung zwischen Politikern und Bürgern stetig steigen, wenn Wahlkämpfe in erster Linie mit Argumenten über mögliche Konstellationen geführt werden. Angesichts der sozialen Probleme (nicht nur in Großbritannien) ist es verwunderlich, dass es überhaupt möglich ist, ohne Diskussionen darüber einen Wahlkampf zu bestreiten. Dies nur auf den Populismus der (links) nationalen Schotten und der (rechts) nationalen United Kingdom Independence Party zurückzuführen, wäre zu einfach: Auch die Arbeiterpartei hat es versäumt, der Zuspitzung aller Probleme auf Europa- und Immigrationsfragen zu widerstehen und eigene Akzente zu setzen. Ihr betont inhaltlicher Wahlkampf kommt über Allgemeinplätze nicht hinaus. So bleibt der spannendste Punkt, welche Regierungskoalition ab Ende kommender Woche eine Mehrheit im Parlament finden kann. Das spannendste Konzept hingegen ist auch nach einigen harten Wahlkampfwochen noch weitestgehend unbekannt.