Die bewohnte Insel (von Arkadi & Boris Strugatzki)

Cover der Suhrkamp-Ausgabe
Cover der Suhrkamp-Ausgabe

Maxim Kammerers Raumschiff ist stark beschädigt. Es gelingt ihm gerade noch, eine Notlandung auf einem Planeten durchzuführen, dessen Atmosphäre glücklicherweise lebensfreundlich ist. Allerdings misst Maxim hohe Mengen an Radioaktivität. Bevor er sich ein Bild seiner Lage machen kann, zerstören Unbekannte sein Raumschiff. Damit ist er auf dem Planeten gestrandet, alle Geräte mit denen er Hilfe hätte holen können, sind vernichtet. Maxim findet jedoch bald heraus, dass „seine Insel“, der Planet Sarraksch, bewohnt ist. Aufgrund seiner (lediglich aus heutiger Perspektive als sehr hoch eingeschätzten) Intelligenz kann er sich die Sprache der Einheimischen rasch aneignen. Im Vergleich zu den als (sozialistisch-) utopischen Verhältnissen auf der Erde, ist ihm die Gesellschaftsordnung auf Sarraksch fremd. Der Staat, in dem er sich aufhält, ist sehr militärisch organisiert, der Großteil der Bevölkerung lebt in Armut oder leidet sogar Hunger und alle Macht scheint in den Händen einiger weniger konzentriert. Darüber hinaus geht der diktatorisch herrschende Elitenzirkel auch noch gegen gesellschaftliche Minderheiten wie zum Beispiel Strahlenopfer vor. Maxim stellt das immer wieder vor kulturelle Herausforderungen. Zwar meistert er diese, doch in ihm reift mehr und mehr der Wille, die Bewohner des Planeten von ihren Herrschern zu befreien.

Der Leser entdeckt die Welt größtenteils aus den Augen Maxim Kammerers. Dieser stammt von der Erde, die sich in der Zukunft zu einem utopischen Ort entwickelt hat. Technische Innovationen und die Weiterentwicklung des Menschen haben Hunger und Armut ausgelöscht. Der Schwerpunkt der Gesellschaft scheint auf Bildung und Forschung sowie auf die Erkundung des Alls gerichtet zu sein. Dieser Hintergrund hat in Maxim eine gewisse Naivität beziehungsweise kulturelle Ignoranz erzeugt: Intuitiv erwartet er erst einmal, dass alle Gesellschaften so organisiert sind wie die menschliche auf der Erde. Um so bestürzter ist er jedes Mal, wenn dies nicht der Fall ist. Gerade auf Sarraksch, dessen Bewohner vor nicht all zu langer Zeit einen zerstörerischen Nuklearkrieg gegeneinander geführt haben, begegnet ihm viel Ungewohntes. Der äußerst nüchterne Schreibstil der Strugatzki-Brüder wirkt zwar in einzelnen Momenten lehrbuchartig, vermittelt aber dennoch eindringlich die sozialen Ungerechtigkeiten und das Leid der Bewohner Sarraksch. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Maxim, der zwar seine Naivität nicht aber seinen Optimusmus verliert, mithilfe seiner schnellen Auffasungsgabe daran arbeitet, die Gesellschaftsordnung auf Sarraschk umzustürzen.

Dabei erscheint es naheliegend die ausbeuterischen Machtverhältnisse auf Sarraksch als Parabel auf kapitalistische Systeme in unserer Zeit zu deuten. Der Einfluss einiger weniger, des Militärs sowie die wirtschaftliche Ausrichtung und Diskriminierung von Minderheiten erscheint auch heute noch vertraut. Der sowjetische Hintergrund der Autoren würde diese These noch unterstützen. Mindestens genau so stark kritisieren die Autoren mit ihrem Roman jedoch auch die Verhältnisse im realexistierenden Sozialismus. Durch die Überbetonung der Erde als sozialistische Utopie, die wenig mit dem Alltag in UdSSR und DDR zu tun hat, und mit der Betonung oligarchischer Machtverhältnisse reizten die Brüder das Maß an möglicher subtiler Kritik aus: Ursprüngliche Versionen des Romans wurden sowohl in der UdSSR als auch in der DDR lediglich zensiert veröffentlicht. Auch heute mit oligarchischen Staaten auf dem Vormarsch, zunehmender Kapital- und Machtkonzentration in westlichen Staaten und intensiverer Überwachung ist der Roman noch erschreckend aktuell: Maxim findet nämlich heraus, dass die Oligarchen ihre Bevölkerung hauptsächlich durch technische Einrichtungen, die zur Gedankensteuerung dienen, ruhig stellen. Das damit verbundene Plädoyer für Individalismus und gegen gleichgeschaltete Verhaltensweisen ist sehr stark.

Cover der Gesamtausgabe (die für diese Rezension herangezogen wurde)
Cover der Gesamtausgabe (die für diese Rezension herangezogen wurde)
Neben all diesen gesellschaftlichen und politischen Elementen ist der Roman an vielen Stellen sehr spannend. Überzeugt im ersten Drittel noch die Erkundung des Planeten und das Zurechttasten in einer völlig fremden Welt, wird die Geschichte durch Maxims Engagement im Widerstand richtig spannend. Von da an erlebt der Roman eine Vielzahl an Orts- und Handlungswechsel, die bewegend das Schicksal der Widerstandskämpfe und vor allem radioaktiv geschädigter Nomaden schildern. Vor allem der Aufenthalt Maxims in einem Dorf letzterer hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck. Auch das Finale, in dem Maxim in die Hände der Oligarchen gerät und sich bemüht, die Herrschaft dieser Clique von inne zu zerstören, hält ein konstant hohes Spannungs- und Unterhaltungslevel.

Am Ende gelingt den Autoren ein besonderer Coup: Nicht nur ist der Feind nicht der erwartete Feind, auch die Zerstörung der Gedanken steuernden Türme erweist sich nicht als das „eine“ heilsbringende Ereignis. Dieses etwas offene, nachdenkliche und dabei sehr realistische Ende rundet einen nüchternen und doch gleichzeitig parteiischen, differenzierten und spannenden Roman ab.

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