Freiwild (von Philip K. Dick)

dickAnthony Douglas ist einer der angesehensten Nuklearwissenschaftler. Zwar ist er mittlerweile einer der älteren Vertreter seiner Zunft, doch Nachwuchswissenschaftler kommen derzeit noch nicht an seine Fähigkeiten heran. Wann immer er ein Projekt beginnt, kann er sich vor Forschungsmitteln kaum retten. Eines Abends starrt ihn in seinem Haus in den Bergen Colorados jedoch ein riesige Auge an. Für den Wissenschaftler Douglas ist es ausgeschlossen, dass er verrückt geworden ist. Stattdessen kommen er und seine Kollegen, nach einigen weiteren Vorfällen darauf, dass es sich um Aliens aus einer anderen Dimension handeln muss, die geniale Menschen benötigen, um zu überleben. Daher entführen sie regelmäßig die klügsten Bewohner der Erde. Die Vorfälle häufen sich und Douglas flieht verzweifelt aus seiner Stadt, in der Hoffnung, dass die Verbindung zu der anderen Dimension nur in den Bergen besteht. Doch die Aliens verfolgen ihn auch durch die Wüsten der Stüdstaaten. Auf seiner Flucht schließt Douglas Frieden mit seiner Entführung. Alles in allem wird auch in der anderen Dimension schließlich sein Intellekt benötigt. Bereitwillig lässt er sich entführen, nur um völlig panisch in einer großen Bratpfanne zu landen. Man hat ihn wegen seiner Körperfülle ausgewählt.

„Freiwild“ ist die Auftaktgeschichte des dritten Bandes der Zweitausendeins Dick-Edition. In dieser Kurzgeschicht sind alle Elemente, die Dick auszeichnen enthalten. Allerdings sind die Science Fiction-Aspekte nur reduziert in Form unbekannter Aliens eingesetzt. Vielmehr entwickelt Dick auf dem knappen Raum eine Horror-Dynamik, die von einer vermeintlichen Sinnesstörung zu einem absoluten Albtraum mutiert.

Bemerkenswert ist dabei Dicks zeitlose Darstellung eines akademischen Umfelds. Während der Leser vermutet, dass es sich hier um Verrücktheit oder zumindest Wahnvorstellungen handelt, analysieren die versammelten Physiker, Biologen und Psychologen die Vorfälle nüchtern und leiten ihre Schlussfolgerungen ab. Auf den ersten Blick wirkt dies beeindruckend, denn sie kommen der Lösung tatsächlich sehr nahe. Die Antwort der Wissenschaftler ist logisch, kohärent und somit durchaus überzeugend. Gleichzeitig ist sie aber auch völlig falsch.

Letztlich ist es nur Douglas Gattin, die, ohne akademischen Hintergrund, ungehört darauf drängt, ihren Ehemann zu retten. Denn diese Komponente fehlt in den Gedankenspielen der Wissenschaftler völlig. Dementsprechend ist Douglas Einfall, sich aus den Bergen zu flüchten, alles andere als klug. Damit ist er nämlich auf sich allein gestellt und den Aliens hilflos ausgeliefert.

In diesem Moment offenbart sich jedoch die Arroganz, die sich hinter der vermeintlich objektiven Fassade der Wissenschaft verbirgt. Anthropozentrisch veranlagt, haben die Wissenschaftler automatisch angenommen, dass die Aliens den Intellekt der Menschen benötigen, um Fortschritt zu entwickeln. Die Erde wird sozusagen als intellektuelles Jagdgebiet dieser vermutlich eher beschränkten Aliens gesehen. Natürlich gilt dies aus Sicht der Wissenschaftler nicht für alle Menschen, sondern nur für den erleuchteten Kreis der Spitzenforscher, der würdigen Menschen.

In der Folge gelingt es Dick seinen Leser nicht nur zu gruseln, sondern das anthropozentrische Weltbild auf spannende Weise zu dekonstruieren. Sicher, die Aliens benötigen Menschen und ähnliche Lebewesen zum Überleben. Aber nur in der Form, wie wir Tiere und Pflanzen zum überleben brauchen: In der Bratpfanne. Selbst die Stellung als Korryphäe auf dem Feld der Nuklearphysik kann daher nicht verhindern, dass der Mensch zum Freiwild wird.

„Freiwild“ entfesselt eine hohes Tempo und ist hochaktuell. Die Möglichkeit einer schlichten Wahnvorstellung ist bis zum Ende nicht ausgeschlossen und doch zeigt der Verlauf der Handlung Muster in der Wissenschaft, die bis heute gültig sein könnten. Vielleicht würde man die Hauptperson nicht mehr im Feld der Nuklearphysik ansiedeln. Trotzdem ist diese 60 Jahre alte Geschichte in ihrem Kerninhalt weiterhin hochaktuell.

Freiwild, geschrieben 1953, veröffentlicht 1959, auf Deutsch erschienen unter anderem im Band „Das Vater-Ding“ der Edition „Sämtliche 118 SF-Geschichten in fünf Bänden“ des Haffmans Verlag bei Zweitausendeins.

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