Der fehlende Automatismus des Spitzenkandidaten

Juncker_logo-sJean-Claude Juncker hat die Europawahl 2014 gewonnen. Seine Europäische Volkspartei hat zwar Verluste erlitten, ist aber noch immer die stärkste Kraft in dem Europäischen Parlament. Das erkennen sogar Junckers Konkurrenten aus dem linken Lager an. Auch die Staats- und Regierungschefs sind mehrheitlich bereits, Juncker zum Kommissionspräsidenten zu wählen. Doch der Widerstand aus Großbritannien, aber auch aus Schweden und den Niederlanden zeigt, dass das Amt des „Spitzenkandidaten“ längst kein Selbstläufer ist. Es wurde nicht den Regierungschefs nicht nur untergejubelt, es beruht auch auf einer seltsamen Logik.

Der weiche Vertragstext

Der Vertrag von Lissabon legt fest, dass der Europäische Rat dem Europäischen Parlament einen Kommissionspräsidenten vorschlägt, „dabei berücksichtigt er [der Europäische Rat] das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament“. Dieser Satz lässt viel Spielraum für Interpretationen. Auf der einen Seite wäre bereits José Manuel Barrosos Wahl zum Kommissionspräsidenten 2004 und 2009 dadurch legitimiert. Denn das Mitglied der Europäischen Volkspartei konnte bereits in den beiden Jahren darauf verweisen, dass „seine“ Partei die stärkste Kraft im Parlament sei. Freilich, wird dies von Europapolitikern anders gesehen.

Und so preschten die Europäischen Sozialisten vor und nominierten Martin Schulz zu ihrem Spitzenkandidaten. Sollten sie stärkste Partei werden, hätte er ein Anspruch auf das Amt des Kommissionspräsidenten. Rasch zogen die Grünen, die Liberalen und die radikalen Linken nach. Einzig die Konservativen zögerten eine Weile, da Angela Merkel zögerte, rangen sich letztlich jedoch dazu durch, Jean-Claude Juncker zu nominieren. Da der Kommissionspräsident zu der Partei der stärksten Fraktion gehören soll, sich die europäischen Parteien im Vorfeld um einen Kandidaten sammelten, konnten Europapolitiker glaubwürdig vertreten, dass einer der Spitzenkandidaten Kommissionspräsident werden würde.

Doch wird der Vorschlag letztlich weiterhin unter qualifizierter Mehrheit von den Regierungschefs gemacht. Hier reichen bereits vier Länder, um für eine Sperrmironität zu sorgen. Das Parlament muss den Vorschlag später zwar bestätigen, ein demokratischer Automatismus ist dadurch aber längst nicht garantiert.

Die zwei Hürden

Somit ist die erste Hürde eines jeden Spitzenkandidaten der Europäische Rat. Beeindruckend ist in diesem Fall, dass es ausschließlich konservative Regierungschefs sind, die den konservativen Kandidaten verhindern wollen! Auch sozialdemokratische / sozialistische / progressive Regierungschefs könnten Juncker verhindern (die Kombination Frankreich, Italien, Dänemark und Malta würde bereits ausreichen, weitere wären möglich). Das System funktioniert also nur, wenn alle Ratsparteien akzeptieren, dass der Spitzenkandidat der siegreichen Partei automatisch dem Parlament vorgeschlagen würde.

Doch selbst das wäre keine Garantie. Denn „siegreiche“ Partei hieß zuletzt gerade einmal 30% der Abgeordneten im Europäischen Parlament. Das ist weit von einer Mehrheit entfernt. Auch diesmal benötigt Juncker die Stimmen der Sozialisten, um Kommissionspräsident werden zu können. Angesichts der derzeitigen Konsenskultur in der Europäischen Union ist das machbar. Doch sollte sich die Kommission und auch das Europäische Parlament partei-politisieren könnte das in der Zukunft Probleme machen. Gäbe es unüberbrückbare Differenzen zwischen Sozialisten und Konservativen könnte keine Seite einen Präsidenten bestimmen, da dazwischen die erstarkten Rechtspopulisten jeden Kandidaten verhindern würden.

Im schlechtesten Fall könnte es daher auf den Lieblingskandidaten des Europäischen Rates aus den Reihen der stärskten Koalition (die es im Moment nicht gibt) hinauslaufen. Dann wäre der Wähler wieder da, wo er 2009 bereits war: Sein Votum wird zwar irgendwie berücksichtigt, nur weiß er vor der Wahl nicht in welcher Form.

Einen Automatismus lernen?

Noch kämpft Juncker darum, Kommissionspräsident zu werden. Würde er nominiert und tatsächlich vom Parlament gewählt werden, wäre es ein erster Schritt dazu, ein zweifelhaftes Verfahren in einen Automatismus zu verwandeln. Bei den kommenden Wahlen würden die Spitzenkandidaten sicherlich noch etwas selbstbewusster, die Wähler noch erwartungsvoller auf das Verfahren blicken. Vor allem letzteres ist wichtig. Denn im derzeitigen Mechanismus ist es sowohl Regierungschefs als auch dem Parlament ein leichtes, einen Spitzenkandidaten der stärksten Partei zu verhindern. Es bedarf also eines hohen öffentlichen Drucks, um sowohl Regierungschefs als auch die unterlegene Parlamentsfraktion daran zu hindern, einen siegreichen Spitzenkandidaten zu verhindern. Dieser öffentliche Druck ist derzeit vor allem in Großbritannien, Schweden und den Niederlanden, nicht abzusehen.

 

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