Populismus im Europaplan der CSU?
|Am 25. April hat die CSU ihren umstrittenen Europaplan beschlossen, der sogar in der Schwesterpartei für Unmut gesorgt hat. In diesem Papier beschreibt die CSU ihre Ziele für Europa in sechs Punkten, die sich zunächst sehr harmlos anhören. Ein Europa der Freiheit, der Bürger, der Regionen, der Stärke, der Stabilität und der Vielfalt und Werte wird da gewünscht. Warum also die Aufregung über diesen Plan?
Die Antwort ist nach der Lektüre des Textes eindeutig: Die CSU vermischt hier auf geradezu unverantwortliche Weise konservative Forderungen mit substanzloser populistischer Programmatik. Denn natürlich setzen sich auch bei diese Wahl alle Parteien für ein „besseres“, „stärkeres“ oder „neues“ Europa ein. Dabei beschreiben die meisten Parteien jedoch umsetzbare Ziele. Die CSU hingegen stellt in jedem Kapitel hingegen nicht umsetzbare Ziele auf. Es handelt sich somit um Wahlbetrug mit Ansage.
Bevor auf die einzelnen Punkte eingegangen wird, sei noch einmal der Charakter der Europawahl skizziert. Am 25. Mai wählen die Bürger der Union die Abgeordneten des Europäischen Parlaments. Erstmals besteht die Chance, dass der Kandidat der siegreichen Partei das Amt des Kommissionspräsidenten erhält. Es ändert sich jedoch nichts daran, dass das Europäische Parlament nur eingeschränkte Zuständigkeiten hat. So hat es beispielsweise noch immer kein Initiativrecht für Gesetze oder Regulierungen. Einzig die Europäische Kommission kann diese im Parlament zur Abstimmung stellen. Das kann man beklagen. Wenn man dies tut, muss man jedoch auch sagen, dass man für eine Vertragsänderung eintritt. Denn viele Kompetenzen innerhalb des Institutionsgefüges können lediglich durch eine Vertragsänderung verändert werden. Dazu zählt auch das hier verwendet Beispiel – das die CSU in ihrem Europaplan anführt. Eine Vertragsänderung kann lediglich durch die Zustimmung aller Mitgliedsstaaten erfolgen, schließlich müsste die konsolidierte Fassung von allen Mitgliedsstaaten beschlossen werden. Letztlich wäre eine ehrliche Forderung der CSU in diesen Punkten also, dass die von ihr seit nunmehr neun Jahren gestellte Bundesregierung sich verstärkt für diese Veränderungen einsetzen soll.
Ein Europa der Freiheit dient der CSU dazu, die Bedeutung des Friedensprojektes Europa zu betonen. Gleichzeitig fordert man jedoch, dass sich die EU auf die „großen europäischen Aufgaben“ konzentriert: „Wahrung unserer Interessen in der Welt, die Sicherung der Rohstoff- und Energieversorgung.“ Das klingt nach einer sehr machtpolitischen Definition der EU. Gleichzeitig möchte man die Freiheit nur für die bestehenden 28 Mitglieder, in der kommenden Legislaturperiode soll ein „Beitrittsstopp“ (für den übrigens bereits das „Nein“ der Bundesregierung reichen würde) verhängt werden. Ironischerweise erwähnt die Partei im nächsten Punkt die Ukraine, in der sich die pro-europäischen Demonstranten immerhin vom Traum eines EU-Beitritts haben leiten lassen. Doch zu der Ukraine fällt der CSU nur ein, dass die „Friedensfunktion“ Europas auch heute „unverzichtbar“ ist. Dass diese Funktion meist über die Aufnahme in die Union ausgeführt wurde, verschweigt die CSU. Stattdessen betont man lieber, dass der „Missbrauch unserer Sozialsysteme“ abgestellt werden muss. Immerhin erkennt die bayrische Unionspartei, dass „Armutsmigration“ auch Ursachen hat. Armut ist laut CSU jedoch ein Problem der Mitgliedsstaaten, die lediglich die zur Armutsbekämpfung „bereitgestellten EU-Gelder vollständig abrufen und zielgerichtet einsetzen“ müssen. Zum Thema Freiheit fasst die CSU also vor allem zusammen, dass sie gegen neue Mitglieder in der EU ist und gegen die Inanspruchnahme des Rechts auf Personenfreizügigkeit für alle EU-Bürger ist.
Unter Europa der Bürger versteht die CSU, dass die EU vom „Kopf auf die Füße gestellt werden“ muss. Freilich verschweigen die Bayern wie genau das funktionieren soll. Es wird von „besserem“ statt „mehr“ Europa geredet. Auch soll Europa „demokratischer, transparenter und bürgernäher“ sein. Die Vorschläge, das „Legitimationsdefizit“ des Parlaments, die Einführung von Direktwahlkreisen bei der Europawahl sowie das „Intitiativmonopol“ der Kommission abzuschaffen, bedürften jedoch der bereits angesprochenen Vertragsänderungen. Auch für die Halbierung der Kommissionsmitglieder sowie die Reduzierung auf einen Parlamentsstandort wären die Mitgliedsstaaten, nicht das Parlament zuständig. Auch die Einführung eines „Kompetenzgerichtshof“ (den es in Form des Europäischen Gerichtshof bereits gibt) und die Reduzierung der EU-Kompetenzen (Kommission soll sich nur noch auf die „Grundfreiheiten“ konzentrieren) liegt eher in den Händen der Mitgliedsstaaten. Zuletzt sprich die CSU einen Punkt an, an dem das Parlament durchaus mitreden kann: Den EU-Haushalt. Dieser soll weiter reduziert werden. Damit widerspricht die Partei ihrer Hauptlösung gegen Armutsmigration. Die sollte ja durch das gezielte Abrufen von EU-Mitteln (der EU-Strukturfond macht immerhin etwa 40% des Haushaltes aus) verringert werden – nun sollen diese Mittel gekürzt werden.
Das Europa der Regionen sieht in den Augen der CSU so aus, dass die Kommission (schon wieder) Kompetenzen zurück geben soll, die Staaten ihre Souveränität behalten und es einen „Zuständigkeitsstopp“ für die EU gibt. All dies sind wieder Themen, bei denen die Bundesregierung de facto ein Veto einlegen könnte. Der Ausschuss der Regionen soll in Zukunft zudem einschreiten können, wenn die EU gegen das Subsidaritätprinzip verstößt. Blöderweise ist das bereits der Fall: In solchen Momenten kann der Ausschuss nämlich eine Subsidaritätsklage beim Europäischen Gerichtshof einleiten.
War die CSU bisher immer gegen weitere EU-Kompetenzen, forderte sogar einen Zuständigkeitsstopp, fordert man im vierten Kapitel Europa der Stärke nun zum Beispiel einen europäischen Datenschutz. Wie der ohne neue EU-Zuständigkeiten entstehen soll, bleibt unklar. Ansonsten bedeutet „Stärke“ für die CSU vor allem, dass die EU Deutschland nicht kritisieren soll und vor allem keine Vorgaben erlassen soll, die der deutschen Industrie schaden könnte (vor allem keine CO2-Richtlinien für Autos). Im letzten Punkt fordert man eine „gentechnikfreie Heimat“. Schade nur, dass die eigene Bundesregierung für einen verstärkten Einsatz der Gentechnik gestimmt hat.
Im vorletzten Kapitel, Europa der Stabilität, feiert die CSU alle bisherigen Stabilitätsprogramme der EU. Neu ist die Forderung, dass diejenigen, die die Kriterien dauerhaft nicht erfüllen, in Zukunft die Eurozone verlassen sollen. Sprich: Wer nicht rasch auf die Beine kommt, fliegt. Eine drastische Idee, die vom EU-Parlament jedoch niemals durchgesetzt werden kann. Immerhin: Die CSU hat in der Tat allen bisherigen Hilfsprogrammen zugestimmt, lobt sich hier also zurecht.
Unter einem Europa der Werte betont die CSU die „christlichen Werte“, die man teilt. Außerdem möchte sie die sprachliche Vielfalt stärken und dabei vor allem Deutsch als Amtssprache stärker fördern. Außerdem setzt sie sich für ein „Klon-Verbot“ in der EU ein und deutet an, dass sie „Euthanasie und aktive Sterbehilfe“ in der EU am liebsten auch verbieten möchte. So gut diese Ziele auch begründet sein möchten, widersprechen auch sie gegen den Zuständigkeitsstopp, der zuvor gefordert wurde.
Insgesamt ist der „Europaplan“ der CSU tatsächlich ein populistisches Dokument. Viele Forderungen können die zu wählenden CSU-Abgeordneten gar nicht umsetzen (z.B. die Errichtung von Direktwahlkreisen, die Abschaffung des Initiativmonopols der Kommission oder den Rauswurf von Stabilitätssündern). Die Kritik des CDU/CSU-Europafraktionsvorsitzenden Reul gegenüber Spiegel Online, einige Forderungen seien offensichtlich dazu gemacht, europakritische Stimmungen zu bedienen, ohne jemals eine Chance auf Umsetzung zu haben, scheint treffend.
In anderen wichtigen Punkten widerspricht sich die Partei selbst oder bleibt im Vagen. So wird nie genau beschrieben, welche Kompetenzen eigentlich auf nationale Ebene zurückgeführt werden sollen. Und während man von einem Zuständigkeitsstopp redet, werden gleichzeitig neue Verbote gefordert. Es erscheint zudem geradezu hämisch, dass man die ärmeren EU-Partner auffordert, die Strukturfondsmittel effektiver einzusetzen und gleichzeitig ankündigt, am EU-Haushalt sparen zu wollen.
Zuletzt wird die eigene Rolle bei bestehenden Regulierungen oder Deregulierungen (Beispiel Gentechnik) nicht erwähnt. Das nimmt dem Papier die letzte Glaubwürdigkeit. Die CSU stellt die derzeitige Situation so dar, als wäre sie ohne ihre Zustimmung entstanden. Wie aber soll die CSU jetzt für ein „starkes Bayern“ bzw. ein starkes Deutschland eintreten, wenn sie das bisher nicht geschafft hat? Mehr Ehrlichkeit und weniger Populismus hätten dem Plan sicherlich nicht seinen konservativen Kern genommen, ihn aber deutlich glaubwürdiger und überzeugender gemacht. So ist es offensichtlich, dass das Papier lediglich dafür geschrieben wurde, die Menschen zu überzeugen, die europakritisch eingestellt sind, die Phrasen der CSU nicht hinterfragen und den angekündigten Wahlbetrug somit nicht erkennen.