Maastricht-Debatte: Zu viel Internet, zu enge Themen und zu wenig Zeit
|Vor einer Woche fand das erste TV-Duell mit den vier Spitzenkandidaten der größten europäischen Parteien statt. Nachdem mit geringem Aufwand inszenierten französischen Duell zwischen dem Sozialisten Martin Schulz und dem Konservativen Jean-Claude Juncker sollte in Maastricht über ein breiteres Themenspektrum mit mehr Meinungen stattfinden. Doch hinter der professionellen Kulisse verhinderten alberne Social-Media Bemühungen, merkwürdige Fragen und ein ungeeignetes Debattenformat eine sinnvolle Diskussion.
90 Minuten reichen nicht aus, um über die wichtigen Themen Europas zu sprechen. Es war daher klar, dass nicht jede Frage gestellt werden konnte und dass die Kandidaten nicht unendlich Zeit zur Beantwortung aller Fragen haben würden. Doch trotz der engen Zeitbeschränkung, erwähnte man mehrfach die Möglichkeit, sich per Twitter-Hashtag in die Debatte einzuschalten. Das blieb jedoch eine Placeboankündigung. Denn letztlich wurden gerade einmal vier Fragen aus dem Netz ausgewählt. Die Chancen, einen Sitzplatz in Maastricht zu erhalten waren wahrscheinlich höher, als eine erfolgreiche Internetfrage einzureichen.
Zudem veränderten die Moderatoren die Fragen nach Belieben. Zunächst schränkten sie den Korridor auf drei Themen ein: Wirtschaft, Euroskeptizismus und Außenpolitik. Diese Themenwahl verwunderte in mehrfacher Hinsicht. Erstens bleibt die Außenpolitik eine Kernkompetenz der Mitgliedsstaaten und damit innerhalb der Europäischen Union des Europäischen Rates. Bei der Wahl wird aber das Europäische Parlament und mit Glück der Kommissionspräsident gewählt. Beide Institutionen können zwar ihre Meinung zur Außenpolitik äußern, wirklichen Einfluss haben sie jedoch kaum. Zweitens ist zu bezweifeln ob das Thema Euroskeptizismus wirklich einen ganzen Block verdient hat. Zwar wurden hier gleich mehrere Themen wie Immigration oder aber auch Bürgernähe mit abgehandelt. Alle Kandidaten waren sich selbstverständlich einig, dass rechtsextreme Parteien keine Partner auf der europäischen Ebene sind. Bei der Wahl müsse es zudem mehr über Inhalte gehen, die Europawahl dürfe keine Abstimmung für oder gegen die EU sein. Doch wenn man natürlich zu einem Drittel über Euroskeptizismus diskutieren muss, bleibt es leider meist bei der Frage „pro“ oder „kontra“ Europa. Drittens veränderten die Moderatoren die Fragen ständig. Nie wurde dieselbe Frage allen vier Kandidaten gestellt. Stattdessen musst jeder einen spezifischen Aspekt beantworten. Manchmal nutzen die Kandidaten ihre knappe Sendezeit, um auf vorherige Fragen einzugehen. Doch meist reichte die Zeit bereits für den eigenen Aspekt nicht aus. So kann keine anständige Debatte entstehen und der Zuschauer kann nicht einmal die Positionen der verschiedenen Kandidaten vergleichen.
Letztlich war die enge Zeitbeschränkung (immer zwischen 30 und 60 Sekunden) ein großes Laster. Die Zeiteinhaltung wurde strikt beachtet, eine wirkliche Debatte kam dadurch selten zustande.
Die ganze Debatte (auf englisch)
Immerhin brachte die Debatte zumindest die Erkenntnisse, dass die Sprache und das Publikum bei den Debatten doch entscheidend ist. Während in der ersten Debatte Juncker und Schulz noch auf demselben Niveau Französisch sprachen, war das diesmal mit Englisch nicht der Fall. Schulz redete sehr langsam, Juncker hingegen schienen manchmal gar Worte und Redewendungen zu fehlen. Verhofstadt und Keller verwendeten die Sprache hingegen fließender. Das Publikum wiederum schien nicht gerade aus Konservativen zusammengesetzt zu sein. Applaus für Juncker gab es fast gar nicht, stattdessen wurden vor allem die sozialen Parolen von Schulz und Keller mit Jubel bedacht. Gelegentlich gab es auch Lob für Verhofstadts pro-europäische Positionen. Zuletzt ließen es die Moderatoren auch noch zu, dass auf Junckers konservative Europäische Volkspartei von den anderen Kandidaten geradezu geschimpft wurde (wegen Berlusconi in Italien und Orban in Ungarn).
Inhaltlich entstand dadurch der (persönliche Eindruck), dass
- Ska Keller (Grüne) zwar ausgezeichnet Englisch sprechen kann und sehr gut debattieren kann, aber ihre Positionen doch nicht deutlich machen konnte. Regelmäßig plädierte sie dafür, zum Beispiel die Klimaziele oder die Immigrationsziele der Kandidaten zu vergleichen. Da jedoch niemals ein Kandidat dieselbe Frage erhielt, ging diese Strategie nicht auf. In Erinnerung blieben die Appelle, doch bitte die Ziele zu vergleichen.
- Guy Verhofstadt (Liberale) sich als vorbildlichen Europäer und klassischen Liberalen präsentierte. Kritische Worte hörte man von ihm fast nie, einzig die Bürokratie müsse bekämpft werden. Gleichzeitig setzt er sich für eine immer stärkere wirtschaftliche Integration ein: Bankenunion, Digitalunion, Mobilfunkunion – jeder einzelne Sektor soll nach dem Willen des Liberalen integriert werden und dadurch für mehr Wachstum sorgen.
- Martin Schulz (Sozialisten) Schwierigkeiten hatte, seinen sonst so agilen Stil in diese Debatte einzubringen. Mehrfach gelang es ihm immerhin, den Fokus auf die Bürger zu richten (er wolle sich nicht nur um Milliarden Euros kümmern, sondern auch dafür sorgen, dass Bürger mit gerade einmal 1000€ mehr Geld am Ende der Legislatur haben). Außerdem konnte er die Angriffe gegen ihn (seine Außenpolitik sei Naiv & er wolle mehr Schulden machen) sehr gut kontern.
- Jean-Claude Juncker (Konservative) die Positionen seiner Partei ehrlich zusammen fasste. Dabei sorgte nicht nur das fehlende Klatschen und sein (wie Schulz‘) langsames Englisch für einen merkwürdigen Eindruck. Ausgerechnet seine Ehrlichkeit schwächte seine Argumente. Er gab zu, selbst für Eurobonds zu sein, während seine Partei das ablehnt. Er gab auch zu, dass ihm die Position einiger EVP-Parteien nicht gefallen. All das hätte er wie in vorherigen Interviews ausgezeichnet begründen können. Doch 30 bis 60 Sekunden reichen dafür nicht aus, insofern hätte ihm weniger Ehrlichkeit zu einem überzeugenderen Eindruck verholfen.
Es bleibt daher zu hoffen, dass die kommende Debatte am 8. Mai in Florenz mehr Platz für inhaltliche Fragen lässt und mit überzeugenderen Moderatoren aufwartet.
Die Debatte wird auch mit deutscher Synchronisierung angeboten. An diesem Punkt scheint Euronews aber ebenfalls nicht ausreichend Geld ausgegeben zu haben – manche Übersetzungen sind in einem unverständlichen Kauderwelsch geendet: