Europawahl 2014: Frankreich vor der braunen Welle?
|Die Europawahl 2009 brachte große Verschiebungen in der französischen Delegation: Die Sozialisten verloren über 12% und endeten bei gerade einmal 16%. Überraschenderweise konnten sie damit lediglich knapp ihren Rang als zweitstärkste Partei verteidigen: Die Grünen lagen mit einem Plus von beinahe 9% lediglich etwa 30 000 Stimmen hinter ihnen. Doch auch die konservative UMP konnte sich freuen, die ihren Stimmenanteil um 11% ausbauen konnte und stärkste Kraft wurde. Große Ernüchterung herrschte damals bei dem rechtsextremen Front National. Er verlor 3,5% und die Hälfte seiner Mandate, kurz darauf gab Jean-Marie Le Pen den Vorsitz über die Partei ab. Nun, fünf Jahre später, sieht die Ausgangslage jedoch ganz anders aus. Angesichts der schwachen Konstitution der etablierten Parteien könnte der Front National in Frankreich diesmal erstmals die stärkste Kraft werden.
Eine am Boden liegende zerstrittene Linke
Seit 2012 regiert die Sozialistische Partei (PS) unter François Hollande Frankreich mit einer absoluten Mehrheit. Doch das Land kommt nur langsam aus der Krise, der Präsident wirkt zu zögerlich, die Parlamentsmehrheit zerstritten. Die Rechnung folgte Ende März bei den französischen Kommunalwahlen, die in einem Desaster für die PS und ihre Linken Verbündeten (Grüne u.a.) endete. Seitdem wurden der Premierminister und der Parteichef ausgewechselt. Trotzdem liegt die Linke am Boden. Zwar hat sie Ziele wie die Ehe für Homosexuelle oder die Senkung des Renteneintrittsalters schnell umgesetzt, doch wirtschaftlich geht es dem Land nicht besser. Das Clinton-Sprichwort „It’s the economy, stupid“ scheint sich auch in Frankreich zu bewahrheiten.
Während die Grünen ihren „Moment“ 2009 nicht ausnutzen konnten und wieder zwischen sechs und acht Prozent in den Umfragen schwanken, dringen die regierenden Sozialisten mit ihrer konfusen Kommunikationspolitik nicht durch. Während Präsident Hollande und Premierminister Valls versuchen, mit sozialliberaler Politik die Wirtschaft wiederzubeleben, übt sich die sozialistische Parlamentsfraktion in ständiger Kritik und linker Rhetorik. Dadurch entsteht der Eindruck großer Zerstrittenheit und Unfähigkeit. Und obwohl man bisher bereits umfangreiche Konjunkturprogramme (wohlgemerkt: für die Wirtschaft) auf den Weg gebracht hat, erscheint die Regierung den Franzosen im Stillstand. Eine einheitliche Strategie aus dieser miserablen Außendarstellung herauszukommen haben weder Präsident, noch Fraktion oder Premier bisher gefunden.
Sollte die PS daher die in Umfragen vorausgesagten 19% schaffen und sich damit gegenüber 2009 leicht verbessern, wäre das mittlerweile beinahe eine Leistung.
Eine zerstrittene Rechte mit Siegeshoffnung
Die konservative UMP ist im Gegensatz zu den Sozialisten tatsächlich zerstritten und hat dennoch die Kommunalwahlen Ende März mit einer sogenannten „vague bleue“ (blauen Welle) gewonnen. Nachdem Nicolas Sarkozy von den Franzosen abgewählt wurde, gelang es der UMP nicht, einen neuen Parteivorsitzenden zu wählen. Eine Urwahl 2012 endete im Desaster: beide Kandidaten hatten etwa gleichviel Stimmen und es kam in mehreren Wahllokalen zu Betrug. Es wurde zwar eine Übergangslösung gefunden, doch mittlerweile laufen sich mindestens fünf Kandidaten (inklusive Sarkozy) für die eventuelle Vorwahlen 2016 warm – inklusive öffentlichem Streit.
Neben den Personalstreitigkeiten hat die UMP aber noch ein weiteres Problem, sie ist sich wie die britischen Tories nicht einig, wie genau es mit Europa weitergehen soll. Während die Mehrheit die europäische Integration zwar befürwortet und die Partei zusammen mit der deutschen CDU auch den pro-europäischen Jean-Claude Juncker als Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei (EVP) mitträgt, versucht eine hartnäckige Minderheit, den Kurs der Partei zu ändern. Das hinterlässt in der Öffentlichkeit natürlich keinen überzeugenden Eindruck – zumal es mit dem Front National eine euroskeptische Alternative gibt, die die letzten Jahrzehnte nicht an der Vertiefung der Europäischen Integration beteiligt war.
Insofern ist es wenig überraschend, dass die UMP trotz der Schwäche der sozialistischen Regierung darum zittern muss, stärkste Kraft am 25. Mai in Frankreich zu werden. Derzeitige Umfragen prognostizieren ein Ergebnis zwischen 22 und 26%. Das Resultat wird wohl zum großen Teil davon abhängen, in wieweit sich die beiden Europaflügel (wirtschaftlich/proeuropäisch vs. national/euroskeptisch) bis zur Wahl verhalten werden.
Eine braune Welle?
Die französischen Kommunalwahlen Ende März haben den Front National (FN) gestärkt. Zwar hat die Partei gerade einmal in acht Städten gewonnen, doch in einer sogar im ersten Wahlkampf. Trotz den erheblichen Zugewinnen für die konservative UMP redete im Anschluss ganz Frankreich über die wiedererstarkten Rechtsextremen. Diesen Erfolg möchte die Parteichefin Marine Le Pen bei den Europawahlen noch einmal übertreffen und bei einer nationalen Wahl stärkste Partei in Frankreich werden.
Die Voraussetzungen dafür sind gegeben. Denn sowohl die PS als auch die UMP können in ihrer derzeitigen Verfassung die Franzosen nicht begeistern. Außerdem sorgen beide dafür, dass die Propaganda des FN gestärkt wird. Während es in der UMP nationalistische Tendenzen gibt, die die EU ablehnen, hat sich die PS auf die Fiskalaspekte der EU gestürzt und kritisiert diese heftig. Beides bereitet den Weg für die FN-Rhetorik sowohl am rechten als auch am linken Rand – und die FN-Führerin weiß geschickt beide Seiten anzusprechen.
Insofern ist es durchaus möglich, dass die prognostizierten 20 bis 26% für den FN nah an das tatsächliche Wahlergebnis der extremistischen Partei kommen werden. Dann würde aus Frankreich womöglich die größte rechtsextreme Gruppe in das Europäische Parlament einziehen.
Eine extreme Schädigung französischer Interessen?
Eine zentrales Problem wird in den französischen Medien jedoch nicht diskutiert: Ein nationalbewusster Wähler, der die nationale Rolle Frankreich mit seiner Stimme für den Front National stärken möchte, schwächt die französische Position in Europa immens. Denn seit dem Vertrag von Lissabon hat das Europäische Parlament bei fast allen Gesetzesinitiativen der Europäischen Union ein umfangreiches Mitspracherecht. Der französischen Delegation im Europäischen Parlament kommt daher ebenfalls eine wichtige Rolle beim Vertreten französischer Interessen zu. Dem Front National ist es jedoch in zwei Punkten unmöglich, konstruktiv im Parlament zu arbeiten. Erstens wird die Partei von den etablierten Parteien gemieden, niemand wird eine Koalition mit den Rechtsextremen eingehen. Und zweitens verweigert sich der FN aus ideologischen Gründen einer Kooperation. So stimmte Marine Le Pen zum Beispiel nicht einmal darüber ab, ob die Schengen-Regeln verschärft werden sollten. Während Sozialisten und Konservative es generell ermöglichten für einen kurzen Zeitraum wieder Grenzkontrollen einzuführen, nahm Le Pen an der Abstimmung gar nicht teil – obwohl das Thema für den FN sehr wichtig ist. Ein gutes Ergebnis des FN schwächt somit Frankreichs Rolle in Europa.
Aber auch bei der Benennung des Kommissionspräsidenten spielt das französische Ergebnis kaum ein Rolle. Seit Monaten gibt es in den Umfragen kaum Bewegung, Sozialisten und Konservative stellen ungefähr eine gleich große Delegation (Unterschied etwa 5%). Auch aus diesem Grund verschiebt sich der Schwerpunkt der Kampagne auf andere Ländern. Durch die Schwäche der etablierten Parteien und das Erstarken des FN schwächt sich Frankreich in Europa somit selbst.