Auf dem Weg zum mitgehangen, mitgefangen?
|Was bringt die Europawahl? Der Kommissionspräsident soll erstmals von den Bürgern bestimmt werden. Die inhaltlichen Unterschiede zwischen Konservativen und Sozialisten sind bis jetzt jedoch noch nicht sehr deutlich geworden. Die Umfragewerte für die Europawahl ähneln in den meisten Ländern verdächtig den nationalen Umfragewerten. Das legt den Schluss nahe, dass doch nach nationalen Präferenzen ( z.B. macht die SPD oder die CDU eine gute Figur) entschieden wird als nach europäischen Gesichtspunkten ( z.B. möchte ich Schulz oder Juncker als Kommissionspräsidenten haben). Und dennoch: Silvio Berlusconis Aussage über die angebliche Geschichtsvergessenheit der deutschen Bevölkerung zeigt, dass sich die Europawahlkämpfe langsam europäisieren.
Martin Schulz war bereits 2009 Spitzenkandidat der SPD für die Europawahl. Damals kritisierte er regelmäßig die Zusammenarbeit der CDU und Angela Merkel mit Silvio Berlusconi. Damals wollte das kaum jemand hören, saß Berlusconi in Italien doch fest im Sattel.
Nun ist Berlusconi nicht nur rechtmäßig verurteilt, sondern präsentiert immer krudere Thesen. 2003 war Berlusconi Martin Schulz im Europäischen Parlament bereits vor, einen guten KZ-Aufseher abzugeben. Heute sieht Berlusconi diese Aussage kritisch, nicht etwas weil sie beleidigend gewesen wäre, sondern weil er Schulz damit zu größere Bekanntheit und Popularität verholfen habe. Außerdem fügte der ehemalige Ministerpräsident Italiens hinzu, dass die deutschen die Existenz der Lager leugnen würde. Als wäre dieser verbale Ausfall nicht genug, plakatiert seine Partei mit dem Spruch „Mehr Italien, weniger Deutschland“.
„Forza Italia“ bietet damit ein Musterbeispiel wie ein Europawahlkampf nicht funktionieren sollte. Anstatt die Wahl zu einer Abstimmung über das beste Konzept für eine supranationale Gemeinschaft zu machen, werden hier nationalistische Tendenzen angesprochen und gefördert. Würden alle Parteien so agieren, wäre der Wahlkampf nicht nur inhaltsleer, jede Europawahl würde die Gräben zwischen den europäischen Staaten sogar verschärfen. Zudem wären die Abgeordneten des Europäischen Parlamentes, würden sie sich denn an ihre Plakatsprüche halten, unfähig zusammenzuarbeiten.
Natürlich finden Berlusconis Aussagen in der deutschen Presse ein großes Echo. Neu ist jedoch, dass immer auch erwähnt wird, dass Angela Merkel und die CDU/CSU in Deutschland mit „Forza Italia“ zusammenarbeiten. Man mag gegen solch einen Vorwurf einwerfen, dass „Forza Italia“ lediglich eine von mehr als 28 Parteien innerhalb der Fraktion der Europäischen Volkspartei ist. Doch wird diese Partei wahrscheinlich auch nach der nächsten Wahl beinahe 10% der Fraktionsmitglieder stellen. Eine Stimme für die CDU/CSU vergrößert also auch die Bedeutung der Fraktion, mit der die „Forza Italia“-Abgeordneten ihre Interessen durchsetzen.
Indem bei der Berichterstattung über Ereignisse innerhalb der EU aber außerhalb Deutschlands auch auf die Zusammenhänge dieser Akteure mit deutschen europapolitischen Akteuren verwiesen wird, ist der erste Schritt gemacht, über das Vermitteln europäischer Zusammenhänge die Möglichkeit für eine informierte europäische Öffentlichkeit zu schaffen. Erst wenn diese informierte Öffentlichkeit interessiert, werden nationale Parteien sich dafür rechtfertigen müssen, mit wem sie auf europäischer Ebene zusammenarbeiten. Wenn jeder Europawahlkampf diesen Prozess ein wenig weiter führt, bringt jede Europawahl bereits etwas auf dem Weg zu einer engeren Europäischen Integration.