Cleer (von L.L. Kloetzer)

CleerIn dieser „Unternehemensfantasie“ beginnen die beiden jungen und gut ausgebildeten angehenden Manager Vinh Tran und Charlotte Audiberti für den weltweiten Konzern Cleer zu arbeiten. Hier werden nur die Besten genommen, die Anforderungen sind hoch. Gleichzeitig verspricht der Konzern jedoch sowohl Kunden als auch Mitarbeitern bei ihm „selbst sein“ zu können. Vinh und Charlotte bewerben sich auf Stellen in der Abteilung „innere Kohärenz“. Ihre Aufgabe hier ist es, von außen in Unternehmensbereiche, die in moralischen oder organisatorischen Schwierigkeiten stecken, einzugreifen und die Probleme zu beheben. Dies ist die Ausgangslage für die fünf Novellen, aus denen dieser Roman besteht.

Zunächst hat man noch den Eindruck, dass hier Polizeiarbeit vor dem Hintergrund eines riesigen Konzerns geboten wird. In der ersten Novelle häufen sich in einer Abteilung die Selbstmordfälle. Vinh und Charlotte begeben sich bereits nach dem zweiten Selbstmord in das Subunternehmen. Hier wird bereits der „klassische“ Unterschied zwischen den beiden deutlich: Während Vinh schon bei dem ersten Auftrag an den weiteren Verlauf seiner Karriere denkt und den Fall möglichst effizient abschließen möchte, gehen Charlotte die Selbstmorde sehr zu Herzen. Dies erscheint wie ein arg klischeehafter Männer-Frauen Unterschied.

Im weiteren Verlauf der Novellen wird jedoch immer deutlicher, dass das Team ohne diesen Unterschied nicht funktionieren könnte. Vinh treibt die Arbeit voran, um selbst einmal eine Karrierestufe aufzusteigen. Doch dabei übersieht er immer wieder Details, die von seiner analytischen Herangehensweise nicht wahrgenommen werden können. Es ist häufig Charlotte, die den entscheidenden Hinweis auf die Lösung eines Problems gibt. Deutlich wird auch, dass es das Unternehmen selbst ist, das bereits in den Bewerbungsgesprächen die jeweiligen Fähigkeiten entdeckt hat und diese fördert. Der Slogan „Be yourself“ hat hier somit wenig mit Selbstverwirklichung zu tun. Stattdessen fördert Cleer die Charaktereigenschaften, die dem Unternehmen nützen.

Tatsächlich müssen Vinh und Charlotte ganz in ihrer Arbeit aufgeben. Ein Privatleben nebenbei gibt es am Ende kaum noch. Die Firma erwartet eine dauerhafte Verfügbarkeit im Austausch für eine äußerst großzügige Bezahlung. Während die beiden Agenten der „inneren Kohärenz“ also im sowohl in andere Abteilungen als auch in das Privatleben der dortigen Mitarbeiter eingreifen, werden sie selbst immer mehr zu Typen, die auf ihre Funktion in der Abteilung reduziert werden.

Am erschreckendsten ist die Tatsache, dass der Gegner dieser Abteilung zum Schluss kaum noch eine ineffiziente Organisation oder nicht zum Unternehmen passende Arbeitskräfte sind. Stattdessen führt die Abteilung „innere Kohärenz“ eine Art Wettkampf mit anderen Strukturabteilung um die besten Lösung. Dabei werden häufig drastische Maßnahmen ergriffen, um den betriebsinternen Konkurrenten die Show zu stehlen. Am Ende erscheint der Kampf mit anderen Führungskräften beinahe wichtiger als die eigentliche, moralisch bereits nicht immer einfache Aufgabe Charlotte und Vinhs. Kloetzer, der selbst wohl einige Jahre als Unternehmensberater gearbeitet hat, zeichnet in dieser Fantasie kein positives Bild der Branche.

Trotz der interessanten Thematik und der sehr gelungenen, entmenschlichten Betriebsatmosphäre, gelingt es den Novellen selten Spannung aufzubauen. In zwei Novellen gibt es bewegende Höhepunkte, so zum Beispiel wenn Charlotte von Umweltschützern als Geisel genommen wird. Doch selbst diese Situationen werden kaum ausgenutzt, um das Erzähltempo deutlich zu erhöhen und den Leser mitzureißen. Stattdessen analysiert Vinh bei den Bemühungen, Charlotte zu befreien, weiterhin ausführlich die Situation bevor er zu handeln beginnt. Dadurch wird die Lektüre trotz relevanter Themen am Ende etwas zäh.

Der Roman ist noch nicht auf Deutsch erschienen und liegt nur im französischen Original vor.

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