Europawahl: Offener Ausgang?
|Drei Monate vor der Europawahl hat ein inhaltlicher Wahlkampf zwar noch nicht begonnen, doch die deutschen Umfrageinstitute geben zum ersten Mal seit der Wahl 2009 wieder die Wahlabsichten der Deutschen für die Europawahl an. Das Ergebnis scheint eindeutig: Die Union führt zwischen acht und 16 Prozentpunkten vor den Sozialdemokraten. Dennoch meldet zum Beispiel der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe, dass das Rennen zwischen europäischen Konservativen und europäischen Sozialisten offen ist. Wer stärkste Fraktion im Europaparlament wird, sei noch nicht entschieden. Damit sei auch die Frage, ob Martin Schulz (SPD / Sozialistische Partei Europas) oder der noch zu bestimmende Kandidat der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) Kommissionspräsident werden könnte, völlig offen.
Die Kräfteverhältnisse in Deutschland spiegeln sich natürlich nicht in allen anderen europäischen Mitgliedsstaaten wieder. Ein „europäische“ Umfrage ist unmöglich, da in jedem Land die nationalen Parteien gewählt werden, die sich dann erst indirekt in den europäischen Parteien einbringen. Daher können Prognosen für das Gesamtergebnis der Europawahl nur auf Basis nationaler Umfragen berechnet werden. Während der Spiegel sich auf interne Berechnungen der Europäischen Kommission stützt und den Konservativen einige wenige Abgeordnete mehr als den Sozialisten prognostiziert, sieht die Seite pollwatch2014.eu die Sozialisten leicht im Vorteil. Charmanterweise gibt Pollwatch zudem die nationalen Umfragen an, auf denen die Prognose beruht.
Tatsächlich deuten alle Berechnungen auf zwei Entwicklungen hin: Das Kräfteverhältnis zwischen den beiden großen Parteien kann erstens ausgeglichener als noch 2009 werden. Damals gewann die EVP deutlich, die SPE erlangte ihr schlechtestes Ergebnis. Zweitens sind europakritische Parteien im Aufwind und könnten die beiden großen Parteien einmal mehr in eine informelle große Koalition zwingen.
Beide Aussagen sind jedoch bei weitem nicht sicher. Die Beteiligung an der Europawahl sinkt mit jedem Wahlgang. Da die Befragten der Umfragen selten gefragt werden, ob sie überhaupt wählen gehen werden, sind die Umfragen dadurch sehr unpräzise. Den Ausgang der Wahl vorherzusagen ist dadurch deutlich schwieriger als bei nationalen Wahlen.
Die bisherige geringe Wahlbeteiligung kann für die europäischen Parteien aber auch eine Chance sein. Wenn es der SPE und der EVP gelingt, ihre Unterschiede herauszuarbeiten und mit zwei gegensätzlichen Spitzenkandidaten anzutreten, besteht durch eine nur etwas höhere Mobilisierung bereits die Chance Euroskeptiker wie den Front National oder die Alternative für Deutschland in ihre Schranken zu verweisen. An den beiden großen Parteien liegt es, einen europäischen Wahlkampf zu führen, der gleichzeitig polarisiert und den Bürgern Europa näher bringt. Das ist keine leichte Aufgabe, bei der knappen Ausgangslage wird die Partei, der dies gelingt jedoch die besten Chancen auf das Amt des Kommissionspräsidenten haben.