Soziale Demokratie im globalen Zeitalter (von David Held)
|David Held plädiert für einen globales Abkommen, das Politik, Wirtschaft und Recht nach den Leitlinien der sozialen Demokratie ausrichtet. In diese drei Abschnitte ist dieses Buch gegliedert. Zunächst skizziert Held in der Einleitung die Bedeutung einer globalen Ausrichtung von Politik, Wirtschaft und Recht sowie sein Grundverständnis sozialer Demokratie. Anschließend werden für jeden Teilbereich zunächst die derzeitige Situation, dann die gravierendsten Probleme und schließlich mögliche Lösungen aufgezeigt.
Helds Forderungen sind schlüssig, aber beinahe unmöglich umzusetzen. Das reicht von der Forderung einer globalen politischen Ordnung, „die auf transparente und demokratische Weise Städte, Nationen und Regionen ebenso umfasst wie globale Netzwerke“ (S. 180). Autorität erhält sie zudem durch „effektive und verantwortliche internationale Polizei – bzw. Streitkräfte“ (S. 181). Das ist wohl die logischste Reaktion auf die Herausforderungen unser immer vernetzteren Welt: Nur durch Sicherheitskräfte könnte ein globales Abkommen die nötige Autorität besitzen, internationale Regeln durchzusetzen. Gleichzeitig benötigt es aber dezentrale Kontrollgremien, um eine Art Weltdiktatur zu verhindern. Und genau das macht diesen Plan unmöglich: Denn bereits jetzt gelingt es nicht einmal auf der nationalstaatlichen Ebene weltweit die Demokratie durchzusetzen (von der sozialen Demokratie ganz zu schweigen).
Doch auch vermeintlich kleinere Vorschläge sind nur kompliziert in die Praxis umzusetzen. Der Vorschlag „Entwicklungsländern dabei zu helfen, sich in internationalen Handelsrunden […] wirkungsvoller Gehör zu verschaffen“ (S. 105) ist offensichtlich für eine gerechte, globale und soziale Demokratie unerlässlich. Nur bedeutet das automatisch, dass die Industrieländer nicht automatisch gehört werden, sondern sich ebenfalls mit Argumenten und Mühe durchsetzen müssen. Genau dieser geradezu freiwillige Machtverlust der derzeitigen Profiteure des internationalen Regimes (die wohlbemerkt auch noch hauptsächlich (soziale) Demokratien sind) wird meist vorausgesetzt.
Außer acht bleibt auch die Frage, ob die Menschen zum Beispiel in den Industrieländern so etwas wie eine weltweite soziale Demokratie überhaupt wollen. In der Mehrheit werden schließlich schon seit vielen Jahren Parteien gewählt, die von der sozialen Demokratie nicht viel halten. Selbst für den europäischen Einigungsprozess, der sich immerhin noch an nationalstaatlichen Strukturen orientiert, fehlt die Begeisterung. Wie würde dann erst die Reaktion auf einen deliberativen Prozess aussehen, der noch schwieriger zu verstehen ist als die Europäische Union?
Die Wahrscheinlichkeit, dass sich tatsächlich eine politische Koalition für dieses Projekt findet, ist wünschenswert aber unwahrscheinlich. Der „Kernbestand“ der Aufgaben ist zwar äußerst vernünftig, aber auch viel zu idealistisch. Weder werden die „Vereinigten Staaten […] einsehen, dass sie ihre langfristigen strategischen, wirtschaftlichen und umweltpolitischen Ziele nur in Zusammenarbeit mit anderen Staaten erreichen können“ (S. 254), noch werden „Nationale Regierungen […] begreifen, dass sie die Betroffenen globaler Probleme sind, und lernen, dass der erste wichtige Schritt zu ihrer Lösung darin besteht, die Verantwortung für die Lösung dieser Probleme zu übernehmen“ (S. 255). Obwohl diese Forderungen (im Original stets mit „müssen“ formuliert) einfach wirken, würden sie doch immer an innenpolitischen Widerständen oder an einzelnen, mächtigen Außenseitern scheitern.
Es muss also noch viel darüber nachgedacht werden, wie Helds Programm eines weltweiten Abkommens, das soziale und demokratische Mindeststandards weltweit garantiert, erst einmal alle Akteure überzeugen und danach auch umgesetzt werden könnte. Denn bei aller Kritik: Helds Leistung ist es, aufzuzeigen, dass die Welt auch ohne die großen Forderungen nach Revolutionen und Umstürzen zum Besseren verändert werden könnte. Die derzeitigen Institutionen, die derzeitige Wirtschaftsordnung und auch das internationale Recht, sie könnten reformiert werden. Dafür braucht es nicht nur weltweit gute, demokratische Regierungen, sondern auch aktive zivilgesellschaftliche Gruppen, die außerhalb der nationalen Grenzen denken und agieren.
Held benennt die größten Probleme unseres Planeten. Das bereits vier Jahre vor der internationalen Finanzkrise erschienene Buch sagt ganz deutlich, dass es einer internationalen Wirtschaftsregulierung bedarf, sollte es nicht eines Tages zum großen Knall kommen. Auch wird darauf verwiesen, dass es bereits umfangreiche politische Regulierungen gibt (Bsp.: Staaten dürfen keine chemischen Waffen einsetzen, sonst bekommen sie Probleme, siehe Syrien) gibt, Konzerne aber noch immer relativ frei agieren können.
„Soziale Demokratie im globalen Zeitalter“ benennt Probleme und zeigt die notwendigen Reformen auf, die im Rahmen eines globalen Abkommens weltweit diese Probleme lösen und soziale Mindeststandards durchsetzen könnten. Dies geschieht in überzeugender, logischer und reformorientierter Weise, ohne dabei die Grundwerte der sozialen Demokratie aus dem Auge zu verlieren. Wie der unvermeidliche Widerstand gegen ein solches Projekt überwunden werden könnte, wie die Weltbevölkerung davon überzeugt werden könnte und wie die Details umgesetzt werden können, kurzum, auf Fragen nach den Umsetzungswahrscheinlichkeiten und der Praxistauglichkeit dieses globalen Abkommens weiß dieses Buch keine überzeugende Antwort – es wäre vielleicht aber auch zu viel verlangt.