Fehlende Glaubwürdigkeit ist der Nährboden für Rechtspopulisten

Die Bundestagswahl vor vier Wochen war der letzte einer Reihe von Warnschüssen. Die Wahlbeteiligung stieg im Vergleich zu 2009 zwar ein wenig, gleichzeitig wäre es der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland aber beinahe gelungen, in den Deutschen Bundestag einzuziehen. Jahrelang schien es so, als wäre eine sinkende Wahlbeteiligung und große Unzufriedenheit mit der politischen Klasse kein Problem in Deutschland. In anderen Ländern stiegen rechtspopulistische Parteien auf, gelangten in Österreich kurzzeitig sogar in Regierungsverantwortung. Hier, so schien es, kann so etwas nicht geschehen. Aus diesem Grund sahen sich die im Bundestag vertretenen Parteien offensichtlich auch nach der Bundestagswahl 2009 nicht zu einem Kurswechsel genötigt.

Dabei gab es seit 2009 immer mehr Anzeichen, dass sich die Unzufriedenheit in Zukunft auch in Wahlergebnissen ausdrücken kann. Das erste Zeichen war bereits die Wahl 2009. Es beteiligten sich nicht nur so wenig Bürger wie je zuvor an der Bundestagswahl, gleichzeitig erzielte die populistischste Partei, die FDP, mit überspitzten und unrealistischen Steuerforderungen die größten Zugewinne. Dieser Pool an Unzufriedenen wanderte in der Folge durch die kleinen Parteien der Republik: Zunächst schlossen sie sich den Grünen, die als älteste, im Bundestag vertretene Oppositionspartei (neben der Linken) eine gewisse Glaubwürdigkeit hatten, an und verhalfen ihnen zu einem Traumjahr 2011. Als sich die Grünen in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz mit dem Akzeptieren von Stuttgart 21 und der Mosel-Brücke jedoch als Realpolitiker herausstellten und die Glaubwürdigkeit verschwand, wandte man sich etwas „Neuem“, den Piraten, zu. Doch diese scheiterten rasch an ihrem eigenen Anspruch, ihre notwendigen Debatten waren für die deutsche Öffentlichkeit zu transparent. Drei große Wählerbewegungen, die sich jedes Mal auch in Landtagswahlergebnissen widerspiegelten, aber nie von Dauer waren, zeigten deutlich die Unfähigkeit moderater Parteien die unzufriedenen Wähler zu halten, die Union und SPD in der Bundestagswahl 2009 verloren haben. Insofern kann man durchaus froh sein, dass die Union einen Großteil dieser Unzufriedenen vor vier Wochen anlocken konnte und die AfD lediglich 4,7 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereinen konnte.

In den vergangenen vier Wochen wurde nun viel über Koalitionskonstellationen diskutiert, wenig aber darüber, wie es eine vor allem als Anti-Euro-Partei wahrgenommene Partei beinahe in den Deutschen Bundestag schaffen konnte. Klar ist, die Europa-Politik der Bundesregierung wurde bisher mangelhaft kommuniziert. Nicht einmal im eigenen (konservativen) Lager hat man es geschafft, alle zu überzeugen, was durch den mehrmaligen Verlust der Kanzlerinnenmehrheit im Bundestag deutlich wurde. Doch auch im linken Lager mit eurokritischen Stimmen vor allem aus der Linkspartei hat man es sich offensichtlich zu einfach gemacht und es versäumt, eine überzeugende Alternative zu entwickeln. Alles auf die Eurorettungspolitik zu schieben, wäre jedoch zu einfach. Die Unzufriedenheit rührt auch daher, dass kaum noch jemand den Parteien vertraut.

Vielleicht auch aus diesem Grund hat die Union in diesem Wahlkampf weitestgehend auf inhaltliche Forderungen verzichtet. Sicher, ein paar Wahlgeschenke wie die Mütterrente waren im Wahlprogramm versteckt. Doch hauptsächlich ist man davon ausgegangen, dass programmatische Forderungen nach der Atom-, Mindestlohn- und Steuerwende in der Regierungszeit sowieso nicht mehr ernst genommen werden. Stattdessen hat man ganz auf die Kanzlerin gesetzt – und gewonnen.

Die SPD hingegen hat ein inhaltliches Programm vorgelegt, das den Nerv der Zeit trifft. Der letzte ARD-Deutschlandtrend weist deutliche Mehrheiten für einen gesetzlichen Mindestlohn (sogar über 8,50), für höhere Vermögenssteuern, für höhere Pflegeversicherungssätze und für die Abschaffung des Betreuungsgeldes auf – alles Forderungen der SPD! Gewählt wurde die Partei aber nicht. Denn die Mehrheit der Deutschen misstraut ihr. Vielleicht sitzt der Agenda-Schock noch zu tief, wahrscheinlicher ist aber, dass die unklare Linie, die innere Zerstrittenheit, das fehlende Selbstbewusstsein und vor allem das mangelhafte Spitzenpersonal die Partei kampagnenunfähig machen. Denn zu diesen vier enormen politischen Problemen kam eine misslungene Kampagne, die letztlich dazu führt, dass niemand glaubte, die SPD könne all diese Forderungen durchsetzen. Ob in der Regierung oder in der Opposition, die SPD muss einen Weg finden, Vertrauen zu gewinnen. Denn sie ist die Partei mit den mehrheitsfähigsten Konzepten und gleichzeitig den höchsten Misstrauenswerten.

Die Grünen hingegen haben in diesem Wahlkampf mit ihren sozialen Themen nicht ihr Wählerpotential ausschöpfen können. Anstatt sich – wie vom linken Flügel zurecht angemahnt – zu überlegen, wie man die (aus Grüner Sicht!) richtigen Forderungen besser verkaufen und bewerben kann, bringt sich seit Wochen der rechte Realo-Flügel in Stellung. Ihr Anführer Kretschmann ließ heute über den Spiegel sogar ausrichten, die „Partei sei aus der Spur geraten“. Zu lang habe man Politik entlang „alter Protestlininen“ geführt, nun müssten sich die Grünen nach Stuttgarter Vorbild organisieren. Dabei vergisst Kretschmann: Vor allem „alte Protestlinien“ (Stuttgart 21) haben ihn zum Ministerpräsidenten Baden-Württembergs gemacht. Das fehlen dieser Konflikte (beziehungsweise das Versäumnis auf diese Konflikte im Wahlkampf hinzuweisen) hat seinen Teil zu dem schlechten Grünen Wahlergebnis beigetragen. Zu allem Überfluss ist der Real-Flügel teil des Glaubwürdigkeitsproblems. Wie kann man einer Partei vertrauen, die beinahe einstimmig (und mit Kretschmanns Stimme) ein Wahlprogramm verabschiedet, nur damit sich am Tag nach der Wahl gleich ein ganzer Flügger der Partei bereits wieder davon verabschiedet.

In dieser Woche wird die Union bekanntgeben, mit welcher Partei sie Koalitionsverhandlungen beginnen möchte. Viel Wert wird auf den Inhalt des Koalitionsvertrages gelegt werden. Das ist richtig, ist es doch ein Gradmesser dafür, wie erfolgreich eine Partei aus den Koalitionsverhandlungen herausgeht. Die ständigen Warnrufe, Grüne oder SPD würden in einer Koalition ihre „Werte“ und/oder ihr „Programm“ verraten, sind aber falsch. Deutschland hat nun einmal ein repräsentatives Wahlsystem, in dem Koalitionen der Normalfall sind und keine Partei all ihre Ziele umsetzen kann. Das kann man gut oder schlecht finden, in diesem System spricht Verhandlungsbereitschaft jedoch eher für ein hohes Maß an Verantwortung statt für Verrat.

Damit die AfD oder eine noch weiter rechts stehende Partei 2017 nicht den Einzug ins Parlament schaffen und bei den kommenden (Europa)Wahlen ebenfalls keine Erfolge erzielen ist es in der Folge jedoch wichtig, dass sich die deutsche Politik vermehrt auf ihr Glaubwürdigkeitsproblem konzentriert. Was im Koalitionsvertrag festgehalten wurde, gehört dementsprechend auch umgesetzt. Auf neue Ereignisse sollte weitestgehend im Rahmen der Ansätze der Wahlprogramme reagiert werden. In der Opposition sollte weiterhin verantwortlich gehandelt werden. Das bedeutet nicht, wie die SPD in der vergangenen Regierungsperiode vielem zuzustimmen, sondern überzeugende, tragfähige Alternativen zu entwickeln und der Bevölkerung auch zu präsentieren: leicht verständlich, aber möglichst frei von Populismus. Das sind große Herausforderungen, die im politischen Alltag unmöglich umzusetzen sind. Daher bleibt nur der Versuch, diesen idealen Handlungen möglichst nahezukommen. Nach der Regierungsbildung ist es höchste Zeit darüber nachzudenken, wie das erreicht werden könnte, sonst ist der nächste Warnschuss wohl deutlich lauter.

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