Ich gegen Osborne (von Joey Goebbel)
|Der 17-jährige James Weinbach versteht seine Mitschüler nicht. Für ihn ist die Oberflächlichkeit und die Körperfixierung seiner Mitschüler ein Rätsel. Bewusst grenzt er sich von ihnen ab, kleidet sich in Anzüge und verwendet hauptsächlich gestochene Sprache. Dafür wird er nicht etwa gelobt, sondern von den meisten gemieden. Verbittert fixiert er sich auf sein Talent, das Schreiben, und auf die eine Schülerin, die ihm ähnlich zu sein scheint, Chloe. „Ich gegen Osborne“ setzt am ersten Tag nach dem Spring Break an. Diese Frühlingsferien sind berüchtigt, nutzen die meisten Schüler sie doch für wilde Party- und Sexorgien in Florida. James hat dabei nicht mitgemacht, nicht nur weil er das vulgär findet, sondern auch weil sein Vater jüngst verstorben ist. Nun möchte er Chloe seine Liebe gestehen und muss feststellen, dass sie in Florida geworden ist, wie alle anderen auch.
„Ich gegen Osborne“ beschreibt den ersten Schultag nach dem Spring Break, von 7:47 bis 15:34, auf etwa 400 Seiten. Das birgt wenig Platz für Charakterentwicklung, sie wäre im Rahmen eines Tages auch unrealistisch gewesen. Stattdessen wird der Charakter James Weinbachs vor dem Leser ausgebreitet. Dabei sieht alles zunächst ganz klar aus. Auf der einen Seite hat man die typischen, oberflächlichen High-School-Teenies, die sich ausschließlich für Sex und eventuell noch für Klamotten interessieren. Auf der anderen Seite steht James. Er interessiert sich für Literatur, schreibt selbst. Von einigen Schulfächern ist er nicht begeistert, diese ignoriert er. Wenn er etwas tut, hängt sein ganzes Herz daran, wie zum Beispiel an seinem Romanprojekt.
Relativ rascht merkt der Leser, dass James Einstellung gegenüber seiner Umwelt nicht mehr sarkastisch, sondern zynisch ist. Er möchte seine Mitmenschen mit seinen Sprüchen nicht auf den Arm nehmen, sondern wirklich verletzen. Zwar verbirgt er sich hinter einer Art Missionierungseifer, in Wirklichkeit hasst er sein Umfeld jedoch. Das macht es schwer, gänzlich mit James zu sympathisieren, obwohl man in der Sache ganz auf seiner Seite ist.
Goebel trumpft auch in seinem vierten Roman mit seiner klaren, flüssigen Sprache auf, die die Lektüre wie ein Fluss wirken lässt. Obwohl auf großem Raum nur wenig Zeit überbrückt wird, wirken viele Stellen geradezu hektisch. Denn Goebel vermag auf faszinierende Weise den Mikrokosmos einer amerikanischen High-School zum Leben zu erwecken. Dabei zeigt sich bereits nach einem halben Schultag, dass James bei weitem nicht so reif und gefestigt ist, wie er es von sich gern denkt. Nachdem er seine Chloe an die Oberflächlichkeit verloren glaubt, sorgt bereits eine kurze Aufmerksamkeit der vermeintlich oberflächlichsten Klassenkönigin dafür, dass er ihr für eine Schulpause beinahe völlig verfällt.
Dies ist nur einer der Hinweise, dass James trotz all seiner Abgrenzungsymbolik und all seiner Bemühungen, seinen Mitschülern wichtige Ereignisse wie zum Beispiel den Abschlussball zu nehmen, hauptsächlich daran gelegen ist, akzeptiert zu werden, dazu zu gehören. Natürlich gesteht er sich das nicht ein, natürlich stellt er in seinem Roman alle Menschen außer sich selbst als krank da. Doch wird auch ihm deutlich, dass es ihm an Anerkennung und Freundschaft mangelt. Gleichzeitig stellt er bei seiner krassesten Abgrenzungsaktion fest, dass er keineswegs der einzige Außenseiter ist. Stattdessen gibt es viele Mitschüler, die sich dem Mainstream verweigern – mit ihnen sucht James aber keineswegs den Kontakt, sondern meidet sie ebenfalls. Auch findet er heraus, dass auch die vermeintlich oberflächlichen Menschen ihre Last an Problemen zu tragen haben und sich durchaus bereits tiefgehendere Gedanken über ihr Leben gemacht haben.
All das sind keine überraschenden Erkenntnisse, fast alle möchten tief in ihrem Herzen zum Kern der Gruppe ihrer Gesellschaft gehören. Die Auswahlmechanismen dafür sind willkürlich, weswegen Außenstehende sich häufig abgrenzen, anstatt sich in den regellosen Auwahlkampf zu stürzen. „Ich gegen Osborne“ zeichnet diesen Mix aus Abgrenzung und dem Wunsch nach Akzeptanz nicht nur überzeugend, sondern auch unterhaltsam nach. Eine Stärke des Romans ist, dass er nicht nur wie sonst die gesellschaftlichen Verhältnisse an High-Schools aus den Augen eines Außenstehenden kritisiert, sondern auch dessen Schwächen sowie die Vielfältigkeit des vermeintlich oberflächlichen Mainstreams aufzeigt. Zusätzlich gelingt es Goebel durch James Rahmengeschichte ausreichend Sympathie für den von großem Hass durchzogenen Moralisten James aufzubauen, sodass man mit ihm wirklich mitfiebert.