Bewegungslos ins Ziel

Am Wochenende bewältigten die Piraten ihren Parteitag. Wie bei vielen Parteitagen der Piraten gab es einen heftigen Streit um Grundsatzfragen. Letztlich konnte sich die Partei nicht dazu durchringen, verbindliche Entscheidungen per Online-Abstimmungen durchführen zu lassen. Die mediale Bewertung war wieder einmal fatal: Streit wird in Deutschland immer schlecht bewertet. Dabei verkennen die meisten Kommentatoren jedoch, dass die meisten Ideen erst durch Diskussion geformt werden.

Sicherlich, wenn sich Piraten auf offener Bühne zerfleischen, dann ist das für die Partei nicht hilfreich. In Deutschland werden aber zu häufig von Parteien erwartet, immer mit einer Stimme zu sprechen und gleichzeitig ein unglaublich überzeugendes Konzept vorzulegen. Wo aber soll das herkommen, wenn nicht aus Diskussionen?

Seit 2005 wird das Land von einer Kanzlerin gelenkt, die Diskussionen am liebsten vermeidet. Natürlich werden Ministerinnen wie Ursula von der Leyen nicht sofort abgesägt, weil sie mal ein Problem ansprechen. Sobald es aber so weit führt, dass man die Diskussion in ein Politikkonzept überführen müsste, wird diese abgebrochen. Außer natürlich der politische Gegner könnte daraus Kapital schlagen. In dem Fall werden Konzepte wie der Mindestlohn so verwässert, dass sie auch für Konservative erträglich sind, gleichzeitig dem politischen Gegner ein Wahlkampfthema nehmen.

Häufig wird beklagt, in Deutschland gäbe es zur derzeitigen Regierung keine vernünftige Alternative. Aus diesem Grund nennt sich die neuste Protestpartei „Alternative für Deutschland“. Dabei haben die beiden größten Oppositionsparteien durchaus ganz andere Ansätze für die nächsten vier Jahre. An erster Stelle ist dabei die Ausweitung der Staatseinnahmen zu nennen. Aber auch in der Arbeits- und Sozialpolitik, wo rot-grün neben einem verbindlichen Mindestlohn auch für Frauenquoten und eine stärkere Regulierung von Leiharbeit eintritt, oder der Energie- und Umweltpolitik, wo zumindest die Grünen der Energiewende sicherlich mehr Aufmerksamkeit schenken würden, gibt es starke Alternativen.

Diese können aber nur durch Streit bekannt werden. Wer erinnert sich zum Beispiel daran, dass Peer Steinbrück gleichzeitig mit der Ankündigung seiner Kandidatur auch ein Papier zur stärkeren Regulierung des Bankensektors vorgelegt hat. Dieses wurde in einzelnen Medien hoch gelobt und zeigte an vielen Punkten alternative Möglichkeiten des Regierungshandelns auf. Unser liberaler Wirtschaftsminister stimmte dem Papier einfach zu und sagte, genau so verfahre man bereits – obwohl das natürlich nicht der Fall ist.

Unter Angela Merkel ist in Deutschland zunächst in der großen Koalition zunehmend und unter schwarz-gelb gänzlich die politische Diskussion im Land eingeschlafen. Man setzt sich über Sachthemen nicht mehr auseinander, sondern versucht nur noch möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Das ist legitim – wenn einem außer dem Machterhalt alles egal ist.

Es ist aber auch gefährlich, da Union und FDP mit ihrem Wackelstil Raum für andere Parteien bieten. Durch ihr zwanghaftes Vermeiden konkreter Positionen, bieten sie auch rechten Protestparteien wie der „Alternative für Deutschland“ viel Raum. Es ist daher kein Wunder, dass Länder-Fraktionschefs der CDU zunehmend nervös werden. Sie wissen, dass Merkels Strategie der asymmetrischen Mobilisierung nur gegen die „andere“ Seite, also die Sozialdemokraten, funktioniert. In dem man ihnen die Themen nimmt, bleiben deren Wähler zu Hause. Wenn aber im eigenen Lager eine neue Partei wie die AfD aufkommt und die einst eigenen Argumente stark vertritt, dann wendet sich die Strategie plötzlich.

Derzeit sieht es so aus als käme die AfD nicht über magere zwei Prozent heraus. In der Bevölkerung finden ihre Ideen aber deutlich breitere Unterstützungsgruppen. Es bleibt daher abzuwarten, ob Angela Merkels Strategie, ohne große eigenen Anstrengungen, durch simples Stillstehen ins Ziel zu kommen auch ein zweites Mal aufgehen wird.

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