Mehr Demokratie Wagen – Geschichte der Sozialdemokratie 1830-2010 (von Peter Brandt und Detlef Lehnert)

Der Vorwärtsbuchverlag bringt zum 150 jährigen Jubiläum der SPD eine Geschichtsbuch über die Sozialdemokratie in Deutschland heraus. Zunächst einmal ist man skeptisch, dass ein geschichtlicher Überblick aus dem SPD-Verlag überhaupt objektiv sein kann. Andererseits sind die beiden anderen populären Biographien der Partei von Sozialdemokraten geschrieben und dennoch kritisch. Insofern überrascht es eigentlich nicht, dass die Biographie durchaus auch kritische Aspekte der SPD beleuchtet.

Am auffallendsten ist zunächst aber der Zeitabschnitt, den die beiden Professoren Brandt und Lehnert gewählt ab. Zum 150-jährigen Jubiläum zeugt es von Stärke, einen 180-jährigen Zeitraum, der zudem nicht einmal bis in die Gegenwart reicht, auf den Einband zu heben. Der Grund dafür ist zunächst einmal profan. Für die Autoren lässt sich dieser Zeitraum einfach in sechs thematische Kapitel unterteilen, die dann jeweils dreißig Jahre umfassen.

Bereits nach dem ersten Kapitel wird deutlich, dass der Zeitraum eigentlich ganz selbstverständlich ist. Erstens geht es ja um die Geschichte der Sozialdemokratie, die es bereits vor der Parteigründung als Idee gab und zweitens bedeutet der Zeitraum lediglich, dass das erste Kapitel die 30-jährige Vorgeschichte der Parteigründung abreißt. Dadurch kommt der Leser in den Genuss erst einmal ausführlich in die gesellschaftlichen und politischen Ereignisse sowie Veränderungen eingeführt zu werden, die zur Entstehung einer Arbeiterbewegung geführt haben. Überraschend detailreich wird im zweiten Kapitel dann auch die Parteigründung durch verschiedene Arbeitervereine geschildert.

Den Titel, das vielleicht bekannteste Brandt-Zitat, haben die Autoren nicht ohne Sinn gewählt. „Mehr Demokratie wagen“ wird von den Autoren als das zentrale Motto der Sozialdemokratie gesehen und zwar von Beginn an, nicht erst ab dem Moment, in dem Brandt es in Worte gefasst hat. Insofern fassen Brandt und Lehnert am Ende jedes Kapitels zusammen, was „Mehr Demokratie wagen“ für die Sozialdemokratie in dem jeweiligen 30-jährigen Zeitabschnitt bedeutete. Das ist am Anfang äußerst sinnvoll, beschreiben die „Lernlektionen“ geradezu Beginn sehr konkret und überzeugende Entwicklungen. In den letzten beiden Kapiteln gerät dieser letzte Abschnitt jedoch etwas zu schwammig, was sehr schade ist.

Am überraschendsten ist in diesem Buch die Betrachtung der Rolle der SPD während der Machtübernahme der Nazis.Selbstverständlich wird die Verweigerung zum Ermächtigungsgesetz hier durchaus lobend erwähnt. Bekanntlich führte die SPD über eine lange Zeit eine Strategie, die gewaltsames Vorgehen gegen die Nazis ausschloss. Man wollte sich weiterhin an die Gesetze halten. Brandt und Lehnert konstatieren der SPD aber sogar eine „Politik der Konzessionen“ und stellen fest, dass sich „in noch wesentlich zugespitzterer Form (…) im Verhältnis zum übermächtigen nationalsozialistischen Gegner die Anpassungsprozesse von 1914 wiederholt“ haben. Solch harsche Worte liest man selten über das Verhalten der SPD 1933.

Solch überraschende Ansichten finden sich immer wieder in dem Buch, das vor (gekennzeichneten) Wertungen durchaus nicht zurückschreckt. Erfreulicherweise ist „Mehr Demokratie wagen“ somit kein Jubelbuch zum 150. Geburtstag, sondern ein geschichtlicher Abriss mit gelegentlichen, interessanten Akzentuierungen und Wertungen. Dadurch ist das Buch auch dann lesenswert, wenn man sich bereits mit der Geschichte der ältesten deutschen Partei auseinandergesetzt hat.

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