Ein plötzlicher Todesfall (von J. K. Rowling)

„Ein plötzlicher Todesfall“ tritt ein schwieriges Erbe an. Rowling wurde mit der „Harry Potter“-Reihe weltbekannt, diesen Erfolg zu übertreffen ist äußerst schwierig. Einem direkten Vergleich geht der Roman aus dem Weg, in dem er sich auf ein ganz anderes Szenario einlässt. In einer britischen Kleinstadt stirbt ein Ratsmitglied. Der verstorbene Barry Fairbrother wuchs in den Fields auf, einem Stadteil, in dem besonders viele „sozial Benachteiligte“ wohnen. Er hat sich von dort hochgearbeitet und sehr davon profitiert, dass er auf die Kleinstadtschule des fiktiven Ortes Pagford und nicht auf die Großstadtsschule gehen konnte. Daher kämpfte er im Stadtrat verbissen dafür, dass die Fields ein Teil Pagfords bleiben. Seinen Gegner hingegen, angeführt von dem Ratspräsidenten Howard Mollison sind die Fields und vor allem die dortige Drogenklinik seit langem ein Dorn im Auge. Für sie ist Pagford erst dann wieder so gut wie früher, wenn dieser Stadtteil nicht mehr dazu gehört. Berrys Tod sorgt nun für eine offene Situation im Rat, beide Seiten versuchen einen ihnen wohlgesonnenen Ratsherren nachzubesetzen. Dazwischen müssen nicht nur die verschiedenen Ehepartner der involvierten Lokalpolitiker mit der Situation umgehen, sondern auch die Kinder aller Beteiligten. Um die Neubesetzung des Ratsposten erlebt der Leser Intrigen, Liebschaften und persönliche Dramen.

Nicht weniger als acht Familien benutzt Rowling um ein Bild der Kleinstadt Pagford zu zeichnen. Obwohl „Ein plötzlicher Todesfall“ einen beachtlichen Umfang hat, reicht das nicht aus, um die Lebensgeschichten aller Protagonisten bis ins Detail auszuleuchten. Daher verwundert es nicht, dass viele Charaktere stereotyp bleiben. Eine Entwicklung macht ebenfalls kaum einer der Akteure durch. Der Roman bietet stattdessen eine Momentaufnahme der Pagfords.

Dabei wird schnell deutlich, dass niemand in dem Roman glücklich ist. Die Erwachsenen tragen alle ihre kleinen Unzufriedenheiten mit sich herum. Die einen können das dadurch kaschieren, dass sie sich in der Kommunalpolitik wichtig fühlen können (die Morrisons), die anderen lassen es in gewalttätigem Verhalten an ihren Kindern aus (Simon Price). Obwohl sich natürlich keiner eingesteht, dass er unglücklich ist, freuen sich die meisten dann doch immer wieder wenn es anderen Menschen schlechter geht als ihnen. Vor allem auf der Seite der Fields-Gegner ist diese Schadenfreude sehr ausgeprägt. Der Gattin des Ratsvorsitzenden geht es zum Beispiel erst dann richtig gut, wenn andere leiden.
Etwas anders sieht es bei den Fields-Befürwortern ein. Sie setzen sich für die sozial Schwachen der Gesellschaft ein, streiten also für ein hehres Ziel. Das gibt ihnen Kraft. Im Verlauf des Romans stellt sich jedoch immer mehr heraus, dass auch hier die Motivation nicht immer altruistisch ist und der Familienzusammenhang lange nicht so stark wie es scheint.

Die Stimmungslage der Kinder reflektiert die Lage der Erwachsenen. Sie sind ebenfalls alle nicht zufrieden. Sie alle liegen im ständigen Streit mit ihren Eltern und finden keinen Zugang zu ihnen. Alle kompensieren das auf andere Weise, geborgen können sie sich zuhause jedoch nicht fühlen. Stattdessen werden sie geschlagen (Andrew), angeschrien (Fat) oder ignoriert (Sukhvinder). Ausweg suchen sie in Schwärmerei (Andrew), gefühlslosem Sex (Fat) oder Selbstverletzung (Sukhvinder).

Die Sorgen und Nöte der Mittelklassekinder verblassen jedoch gegenüber dem Leben von Krystal Weedon. Ihre Mutter ist schwer drogensüchtig und prostuiert sich regelmäßig, um an Drogen zu kommen. Dennoch ist sie derzeit im Entzugsprogramm der Fields-Klinik eingeschrieben. Sie ist aber nicht in der Lage sich um Krystal und erst recht nicht um das Kleinkind Robbie zu kümmern. Krystal lebte einige Zeit bei Pflegeeltern, was ihr nicht gefallen hat. Ihre einzige Bezugsperson ist ihre Großmutter, die jedoch kurz nach Beginn der Handlung verstirbt. Danach befindet sich Krystal in einem Teufelskreis zwischen der Pflicht, sich um ihren Bruder zu kümmern, dem Lügen gegenüber dem Sozialamt und den Drogendealern ihrer Mutter, die vor sexuellen Übergriffen nicht zurückschrecken. Aus dieser Perspektive wird deutlich, dass das fragile und keineswegs zufriedenstellende Gleichgewicht in Krystals Leben durch das Schließen der Klinik endgültig zerstört werden würde.

Diese schreckliche Familie ist eine gelungen Idee, um die Verlogenheit der Mittelschicht zu verdeutlichen. Während sich die Frauen hier darüber Gedanken machen, wie es wohl wäre mit dem Gatten einer anderen im Bett zu landen und die Männer sich fast ausschließlich um die Politik kümmern, werden die eigenen Kinder vernachlässigt und gleichzeitig Entscheidungen kaltherzig getroffen, die andere Familien in den Abgrund stürzen. Durch diese technokratische Vorgehensweise, die einer romantischen Sehnsucht, nach einer heilen Kleinstadt entspringt, in der alles gut sein wird, kommt es dann auch zum großen Unglück des Romans. Nach der Einstellung der Drogenklinik muss Krystal, die so sehr gekämpft haben, durchdrehen. Ihr Lösungsansatz ist naiv, ihre Umsetzung treibt die Familie in den Untergang. Wirklich bewusst ist das der Stadtgemeinschaft am Ende nicht.

Rowling schreckt dabei nicht zurück, indirekt die starke Sparpolitik der derzeitigen britischen Regierung stark zu kritisieren. Der Rat von Pagford wird nämlich von oben gedrängt, die Drogenklinik zu schließen. Auf diese Weise könne man nämlich die Sparvorschriften der Landesregierung sehr einfach erfüllen. Dieser Druck trifft letztlich die Schwächsten der Gesellschaft und entzieht ihnen die letzte Lebensgrundlage, während die materiell besser gestellten ihr unglückliches Leben im Wohlstand fortsetzen können.

Leider ist das alles nicht immer spannend zu lesen. Vor allem die Sorgen der Mittelstandsfrauen, aber auch die wehmütigen Herrschaften nerven ab der Mitte des Romans. Immerhin sind es vor allem die Frauen, die eine Entwicklung durch machen und von den uninteressierten Gattinen zu engagierten und gelegentlich sogar ehrlichen Vorkämpferinnen für die gerechte Sache werden. Die Männer machen in diesem Roman von Anfang bis Ende kein gutes Bild.

Der Roman lebt von den vielen Figuren, die in kurzen Kapiteln für ein hohes Lesetempo sorgen. Außerdem dauert es eine Weile, bis der Familie die vielen Beziehungsgeflechte in Pagford analysiert hat. Danach aber geschieht bis zum Finale nur wenig Spannendes. Sicherlich, die Erzählung ließt sich flüssig, fesselnd ist sie aber auch.

Letztlich besticht „Ein plötzlicher Todesfall“ dadurch, dass er Scheinheiligkeiten der Mittelschicht, das Elend benachteiligter Bevölkerungsschichten sowie die Bedeutung der Kommunalpolitik aufzeigt. Pagford breitet sich dabei vor dem Leser aus, wird bis kurz vor dem Unglück aber nicht wieder auf einen Handlungsstrang verengt. Stattdessen bietet sich dem Leser ein Überblick, der in vielen Familien durchaus tiefer und mit einer Entwicklung hätte sein können.

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