Das politische System Frankreichs (von Udo Kempf)

„Das politische System Frankreichs“ von Udo Kempf bietet auf 466 einen umfangreichen Überblick über das System unseres Nachbarlandes. Nach einer knappen Einleitung sowie Anmerkungen zur Verfassungsentstehung und der politischen Kultur, bearbeitet Kempf nacheinander die wichtigen Säulen der französischen Politik. Angefangen beim Staatspräsidenten, der aufgrund des semi-präsidentellen System Frankreichs nach den politischen Parteien das umfangreichste Kapitel des Buches erhalten hat, über die Stellung der Regierung und des Parlamentes bis hin zu der Bedeutung des französischen Médiateurs, deckt Kempf eine große Bandbreite an Institutionen ab. Dem schließen sich die politischen Parteien an, die in Frankreich meist eine bewegte Geschichte haben und zumindest in ihrer aktuellen Form zwar auf eine lange Tradition, aber erst auf jüngere Neugründungen zurückblicken können. Danach werden drei ein wenig außerhalb der aktiven Politik stehenden Akteure betrachtet: Die Wähler, die Interessenverbände Frankreichs und die Massenmedien. Gerade bei dem erstgenannten Kapitel wartet Kempf mit umfangreichen Daten auf. Weiter geht es mit einem Überblick über die Kommunal- und die Wirtschaftspolitik Frankreichs. Abgerundet wird der Band mit Daten zur gesellschaftlichen Zusammensetzung sowie dem französischen Bildungssystem. Das letzte Kapitel skizziert auf sechs Seiten das Verhältnis Frankreichs zu Europa.

Die große Stärke des Buches ist der Detailreichtum vieler Kapitel. Vor allem die Kapitel über den Staatspräsidenten sowie die Regierung und die Verwaltungselite verdeutlichen die Verfassungsrealität mit vielen Fallbeispielen. Außerdem wird auch auf weniger offensichtliche Machtfaktoren wie die Beraterkreise des Präsidenten, „graue Eminenzen“ und die Verwaltungselite des Landes eingegangen. In späteren Fällen kann Kempf viele empirische Daten anbringen. Das macht zum Beispiel das Kapitel über die französische Gesellschaft zwar zu einer trockeneren Lektüre, bietet aber zum Nachschlagen viel Anlass.

Besonders spannend ist die Rolle des Parlamentes, zusammen mit dem von Kempf skizzierten Einflussverlustes durch den Übergang von der IV. zur V. Republik. Interessant ist zudem die Entwicklung der Parteien in Frankreich in den vergangenen Jahrzehnten und die Rolle der Interessenverbände. Den größten Platz unter diesen nehmen die Gewerkschaften ein. Der kurze Abriss über die Entwicklung der Gewerkschaften in Frankreich macht einmal mehr deutlich, dass es sich hierbei um ein sehr vielfältiges und daher auch interessantes Feld handelt. Dass deren Auftreten dadurch nicht immer so effektiv ist und der Organisationsgrad geringer als ihr Äquivalent in Deutschland, ist ebenfalls bemerkenswert.

Die größte Schwäche des Textes ist es, dass es geradezu voraussetzt, dass der Leser alle Nachkriegspremierminister Frankreichs kennt. Bei den Präsidenten kann man das erwarten, bei den Ministern nicht. Die Übersichtstabelle über die verschiedenen Regierungsoberhäupter kommt, sinnvollerweise, erst in dem entsprechenden Kapitel. Doch bereits in den vorherigen Kapiteln untermauert Kempf den Einfluss des Präsidenten mit Beispielen von Konflikten mit dem Premierminister. Hier würde eine Zahl, die die Premierminister nummeriert, sehr gut tun.

Darüber hinaus wirkt das letzte Kapitel unzureichend. Von den sechs Seiten sind zwei eine Tabelle, die die Ereignisse Frankreichs in der Europäischen Gemeinschaft/ der Europäischen Union skizziert. Das bedeutet meist jedoch nichts anderes, als die Entwicklung der Union nachzuzeichnen. Die anderen vier Seiten sind wenig aussagekräftig. Diesen Abschnitt hätte man sich auch sparen können. Ähnliches gilt für das Kapitel über das Bildungssystem. Das ist natürlich ein wichtiges gesellschaftliches Element. Dieses Kapitel ist aber weder lang genug, um einen ausführlichen Einblick in das System zu bieten, noch knapp genug, um tatsächlich als grober Überblick zu gelten.

Ansonsten fällt aus heutiger Sicht regelmäßig auf, dass sich seit der letzten, vierten Auflage 2007 viel in Frankreich getan hat. Die ganze Ära Sarkozy sowie die Neuaufstellung der Grünen bei der Europawahl 2009, die Bildung der Front de Gauche und die gestärkte Parti Socialiste sind nicht abgedeckt. Für die Analyse des politischen Systems ist das kein Nachteil, die ist weiterhin weitestgehend aktuell (zumindest bis zu den von Präsident Hollands geplanten Reformen wie zum Beispiel des Verbotes von Mandatshäufungen). Gerade bei den Beispielen und Zukunftsspekulationen, von denen es im Buch durchaus einige gibt, machen sich die fünf Jahre jedoch bemerkbar.

„Das politische System Frankreichs“ ist ein umfangreiches Werk, in dem man viel über die Machtverhältnisse in der französischen Landespolitik erfährt und das auch ohne große Vorkenntnisse (bis auf die Ministerpräsidenten) weitestgehend verständlich sein dürfte. Außerdem bietet es mit Hinweisen auf die kommunale Regierungsebene und andere gesellschaftliche Themen einen Ausblick, mit welchen Feldern Frankreichs man sich noch intensiver beschäftigen könnte.

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