Fehlinterpretation: Piratenpartei vergisst nur ihre Wurzeln nicht

Damit Politik der breiten Maße zugänglich gemacht werden kann, muss sie zugespitzt werden. Selbst wenn Parteien und Politiker sich um differenzierte Positionen bemühen, wird die Zuspitzung ihnen von den Medien abgenommen werden. Abweichende Ansichten oder Taten zum vermeintlichen „Oberziel“ der Partei, werden rasch als Verrat an den Idealen angeprangert und sind dann äußerst schwer zu kommunizieren. Das durfte die Piratenpartei in Niedersachsen Anfang der Woche erleben. In einer unglücklich formulierten Pressemitteilung entstand der Eindruck, die Partei werde auf dem anstehenden Parteitag Kameras und Mikrofone nur in einem kleinen, begrenzten Bereich erlauben. Damit sollte die Basis vor aufdringlichen Video- und Tonjournalisten geschützt werden. In Wirklichkeit handelte es sich jedoch um eine kleine, abgegrenzte Zone, in der Kameras und Mikrofone nicht erlaubt sind. Das mag spitzfindig sein, ist aber ein Unterschied. Nicht aber für die Presse: Hier wurde einhellig darauf hingewiesen, dass dieser Wunsch mit der Forderung nach Transparenz nicht vereinbar sei. Das ist einmal mehr äußerst zugespitzt.

Denn zunächst einmal sollen dort Parteitagsdelegierte lediglich vor Bild- und Tonaufnahmen geschützt werden. Es steht Journalisten weiterhin frei, sich, wenn sie akkreditiert sind (falls die Piraten diese Methode als Einlass wählen), unter die Delegierten zu mischen, Eindrücke zu sammeln und mit den Menschen zu reden. Der oder die Delegierte wird nur nicht mehr dazu gezwungen, sein Bild der Öffentlichkeit preiszugeben. Durch die Dokumentation des Parteitages, die sicherlich via Livestream gewährleistet ist, wird Transparenz über die Entscheidungen hergestellt. Schwieriger ist es natürlich mit der Frage, wie das Wahlverhalten der Delegierten im geschützten Bereich überwacht werden kann. Das ist normalerweise bei Parteitagen egal, bei der Piratenpartei kann in der Regel jedes Mitglied seine Stimmen einem anderen Parteimitglied übertragen. Nur: Selbst wenn Journalisten das Filmen erlaubt wird, filmen sie ja nicht das Wahlverhalten jedes einzelnen Delegierten. Bei der Stimmenübertragung spielt vor allem Vertrauen eine Rolle, das durch Überwachung sicherlich nicht verbessert wird.

Außerdem vergisst die Kritik einen weiteren Grundpfeiler der Partei. Auch wenn in letzter Zeit alle Kommentare die Piraten auf das Thema ‚Transparenz‘ festnagelten, sind sie darüber hinaus auch eine Datenschutzpartei, die sich auch gegen das Konzept des Gläsernen Bürgers wendet. Die Partei möchte möglichst viel Transparenz für politische Entscheidungen herstellen und dabei gleichzeitig sichern, dass jedem Bürger ein Recht auf Privatsphäre zugestanden werden. Das ist in einigen Punkten ein Spagat zwischen widersprüchlichen Positionen, aber das kennen auch andere Parteien. Auf einem Parteitag prallen diese aufeinander: Die Delegierten treffen öffentlich bedeutsame Entscheidungen und sind doch Bürger, die nicht planen, im politischen Rampenlicht zu stehen. Die gewählte Lösung mag vielleicht nicht die eleganteste und medienwirksamste sein. Doch sie macht deutlich, dass die Piraten auch ihr Standbein als Bürgerrechts- und Datenschutzpartei nicht vergessen haben. Das ist angesichts der zuletzt arg zugespitzten Diskussion um Transparenz ein gutes Zeichen.

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