Shitstorm: Die Faszination der Scheiße

Es ist ganz klar: Die politische Kultur ist einmal mehr in Gefahr. Voller Faszination berichten die Medien in letzter Zeit von dem Phänomen „Shitstorm“. Die Definition ist sicher dehnbar, verknappt könnte man sagen, es handelt sich dabei um eine äußerst negative Reaktion vieler Nutzer im Internet auf eine bestimmte Aussage einer Person. Aufgrund der Beschaffenheit des Internets ist es dabei durchaus möglich, die Kritik anonym zu äußern. Ein „Shitstorm“ kann jeden treffen und ist angeblich unberechenbar. Außerdem gefährdet das Phänomen, wie bereits erwähnt, die politische Kultur.

Die Hysterie ist lächerlich. Fast alle Qualitätsmedien haben gezeigt, dass sie dasselbe Konzept in etwas abgewandelter Form ebenfalls beherrschen. Die Reaktion auf das (schlechte) Gedicht von Günther Grass, das eine tagelange, schrille Diskussion ausgelöst hat, zeigt, auch die Qualitätspresse kann einen Shitstorm auslösen. Dieser intellektuelle Sturm verzichtet halt oberflächlich auf Fäkalsprache, ist im Subtext aber oft mindestens so beleidigend, wie hetzerische Kommentare im Internet.

Zuweilen ist die gesammelte Kritik im Internet für den Auslöser sogar nützlich. Der SPD-Abgeordnete Sebastian Edathy arbeitet regelmäßig und kontinuierlich zu verschiedenen Themen, wie fast alle Bundestagsabgeordneten. Und wie bei fast allen Bundestagsabgeordneten bekommt der Großteil der Öffenltichkeit davon kaum etwas mit. Lediglich im Zusammenhang mit der Mordserie von Rechtsradikalen, die im letzten jahr stattfand, erlangte Edathy mit seiner Kritik am Begriff „Döner-Morde“ etwas Aufmerksamkeit. Da im selben Zeitraum aufgrund einer unbedachten Äußerung ein „Shitstorm“ über ihm aufzog, wird er heute immer wieder als „Opfer“ genannt. Seiner Bekanntheit und letztlich seinen politischen Chancen dürfte das nur nützen. Nun hat Edathy das nicht bewusst gemacht. Zunehmend gibt es aber den Trend, Empörungswellen absichtlich über sich ergehen zu lassen. Einfacher gelangt man aufgrund der „Shitstorm“-Hysterie derzeit nicht in die überregionale Presse.

Dabei sorgt die große Berichterstattung lediglich dafür, dass die Proteststürme mehr Aufmerksamkeit erhalten, als sie verdienen. Schon immer gab es krude Flugblätter und beleidigende (offene) Briefe. Die waren teilweise ebenfalls anonym, wurden jedoch von kaum jemandem beachtet. Nun sind diese Texte für jeden einsehbar. Macht das die Sache schlimmer? Oder kann der aufgeklärte Bürger nicht sehr klar zwischen differenzierter Meinung und Kritik und der Frustentladung durch Pöbeleien unterscheiden? Die politische Kultur nimmt  durch Anonymität und öffentliche Pöbelei erst Schaden, wenn man sich auf den Teufelskreis einlässt. Ignorieren ist dabei natürlich keine Lösung, aber durch die Förderung konstruktiver und differenzierter Debatten, dürfte argen Pöblern der Wind aus den Segeln genommen werden. Denn verbale Ausfälle machen den meisten auf Dauer nur Spaß, wenn sie eine Resonanz erzeugen.

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