Sturz der Titanen (von Ken Follett)

In „Sturz der Titanen“ erzählt Ken Follet die Geschichte von fünf Familien von 1913 bis in die Mitte der zwanziger Jahre hinein. Die Jahre vor dem Krieg und die Jahre danach werden sehr straff abgehandelt, der Fokus liegt eindeutig auf den Geschehnissen kurz vor, während und knapp nach dem ersten Weltkrieg. Follett erschaft in dem umfangreichen Werk eine Reihe von Charakteren und verbindet deren Schicksale miteinander und mit historischen Persönlichkeiten und Ereignissen. Aus einer Bergbauregion in Wales wählt er eine Arbeiterfamilie und eine adlige Familie, aus Deutschland eine deutsche, adlige Diplomatenfamilie, aus Amerika einen großbürgerlichen Diplomaten und aus Russland eine ehemalige Bauern- jetzt Arbeiterfamilie.

Mit allen Charakteren wird man schnell vertraut. Das liegt unter anderem daran, dass sie mit wenigen Schattierungen angelegt sind. Jeder Charakter steht für eine bestimmte Eigenschaft, die einem schnell vertraut ist. Es gibt den konservativen, englischen Landherr, der die „alten Zustände“ wiederherstellen oder bewahren will, seine Schwester hingegen ist eine Liberal die vehement fürs Frauenwahlrecht kämpft. In jeder Familie gibt es solche Gegensätze, wodurch Konflikte schnell abzusehen sind. Der Roman ist trotz typisierter Charaktere die meiste Zeit über interessant, weil die Konflikte gelungen sind.

Den in Folletts Roman nimmt der erste Weltkrieg zwar einen großen Platz ein, aber auch andere Konflikte werden nachgezeichnet. Zum Beispiel den Kampf der englischen Arbeiterklasse um Beteiligungsrechte, der Kampf der englischen Frauen um das Wahlrecht und der Kampf der russischen Arbeiterklasse, der letztendlich ja sogar in einer Revolution endet. Zum Schluss werden dadurch sogar die unterschiedlichen Kulturen in Russland und England dargestellt. Veränderungen werden in England durch kleine Schritte, evolutionär, vorgenommen, während sie in Russland durch massive Umschwünge, revolutionär, durchgesetzt werden. Vor allem die Konflikte zwischen Begüterten und Arbeitern und Gewerkschaften in England, die seit Thatcher und spätestens seit New Labour endgültig vergessen scheinen, sind interessant.

Follett gelingt es dabei, Sympathie für alle Seiten aufzubauen. Man mag zwar nicht gutheißen, was die Konservativen planen, aber aus Folletts Darstellungsweise sind ihre Handlungen immerhin verständlich. Man kann also verstehen, warum sie so handeln und weiß auch, dass es aus ihren Denkmustern heraus eigentlich keine Alternativen gibt. Diese Darstellungsweise überträgt Follett auch auf die nationale Konstellation. Er bemüht sich, die Schuld am ersten Weltkrieg an alle beteiligten Länder zu verweisen. Auch hier ist die Chronologie der Ereignisse sehr interessant.

Aber leider leidet der Roman an vielen Stellen auch daran, dass er etwas zu chronologisch ist. Durch die Fülle der Charaktere, die zudem in erster Linie Typen sind, ist unklar, was der Roman eigentlich erzählen will. Letztendlich ist er nämlich nichts anderes, als eine Chronologie des ersten Weltkriegs, des Kampfes um Beteiligungsrechte der Arbeiterklasse und um das Frauenwahlrecht. Als Chronologie glänzt der Roman an einigen, in Deutschland eher unbekannten Stellen, und schwächelt an einigen Bereichen, vor allem denjenigen, die Deutschland betreffen. So wird die Novemberrevolution in kaum mehr als einem Halbsatz erwähnt.

Dem Roman fehlt also ein eigenes Thema neben seinen fünf Familien. Und deren Verbindung wirkt an vielen Stellen doch arg konstruiert. Denn sie haben wirklich alle etwas miteinander zu tun und spielen alle in der Weltpolitik mit.

Außerdem ist die Darstellung des ersten Weltkriegs etwas vorsichtig. Follett versucht zwar an verschiedenen Stellen, den Grauen des Kriegs deutlich zu machen, es glingt ihm aber kaum. An den wenigsten Stellen wird der Schrecken wirklich greifbar, denn Follett traut sich nicht, einen seiner Hauptcharaktere zu opfern. Es gibt zwar gelungene Szenen, zum Beispiel der Gang eines Postboten in der walisischen Minenstadt nach einer großen Schlacht. Dabei bringt der Postbote zu jedem zweiten Haus eine Gefallenenmeldung. In den Schlachten werden Folletts Charaktere aber alle zu taktischen, strategischen Helden, sodass es scheint, als hätte man sich mit Geschick durch den ersten Weltkrieg bringen können. Dabei war das grausame dieses Krieges doch, dass Geschick und Können bei der industriellen Vernichtungsweise kaum etwas zählten.

„Sturz der Titanen“ ist ein fesselnder, gut zu lesender Roman, der mit Charakteren aufwartetet, mit denen man sich schnell identifizieren kann. Allerdings ist er über weite Teil nur eine episierte Chronik des ersten Weltkrieges, ihm fehlt ein eigenes Thema. Die von Beginn an angelegten Konflikte zwischen den Charakteren werden zwar ebenfalls gelöst, aber es gibt so viele Hauptpersonen, dass jeder Konflikt hinter der historischen Chronologie zurückstecken muss. Der Roman ist also gut zu lesen, ihm fehlt aber ein eigenes Thema.

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