Getrieben

Der Spiegel beschreibt die Abhängigkeit der Politiker von den mächtigen Ratingagenturen und am nächsten Tag schreibt er darüber, die Kritik sei völlig unzulässig, die die Rating-Agenturen lediglich die Folgen einer „vermurksten Politik“ bewerteten. Hier paart sich wahlloser Journalismus mit der eigenen Abhängigkeit von externen Bewertungen. Denn ist ein Magazin wie der Spiegel überhaupt in der Lage, die wirtschaftliche Situation anderer Länder zu bewerten? Das scheint nicht so zu sein, denn wie so viele andere Medien in Deutschland, orientiert sich auch der Spiegel in erster Linie an den simplen Wertungen der Rating-Agenturen.

Doch der Staatsfinanzbereich ist nicht der einzige, in dem sich der Journalismus treiben lässt. Auf einem für die politische Kultur viel wichtigeren Feld verlassen sich die Medien immer häufiger auf externe Bewertungen, nämlich in der Wahlforschung. Welt.de und stern.de sind immer ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht die wöchentliche Forsa-Umfrage auszuwerten. Andere Medien picken sich von den vielen Umfrageinstituten das raus, was gerade am Besten passt.

Dabei werden die Umfrageergebnisse nicht nur wiedergegeben, sondern gleich interpretiert. Ein Beispiel dafür ist der heutige Welt.de-Titel: „Wahltrend SPD und Grüne büßen absolute Mehrheit ein„. Eine rot-grüne (bzw. bei Forsa eine grün-rote) Koalition würde demnach 46% erhalten und hätte knapp die absolute Mehrheit verfehlt, zu schwarz-gelb gibt es einen Vorsprung von 8%-Punkten. Der Artikel braucht aber natürlich eine Überschrift, weswegen man den aktuellen Wahltrend mit dem von der vorherigen Woche vergleicht. Der Verlust von einem Prozentpunkt reicht dabei aus, um den Verlust der absoluten Mehrheit zu verkünden.

Abgesehen davon, dass man nur schwer etwas verlieren kann, was man noch gar nicht hat und ein Vorsprung von 8 Prozentpunkten immer noch eine deutlich Aussage ist, ist es auch schwierig, allein den wöchentlichen Forsa-Trend zu beobachten. Denn Forsa ist zum Beispiel das einzige Institut, das die Grünen regelmäßig vor der SPD sieht. Alle anderen Institute haben dafür andere Ergebnisse erreicht. Gleichzeitig merken die Online-Medien aber selbst, dass es merkwürdig wirkt, wenn man die zwei bis fünf Umfragen pro Woche alle erwähnt.

Stattdessen sollte man – auch im Internet – wieder dazu übergehen die Umfrageabstände langfristiger zu takten. Zweiwöchentliche oder gar monatliche Rückmeldungen dürften ausreichen. Der Platz dazwischen ist leicht zu füllen: Einfach mal wieder außerhalb der Kommentare über die Politikinhalte berichten, anstatt über Personaldebatten und Meinungsbilder. Das ist zwar für den Journalisten schwieriger, aber für die politische Kultur besser.

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