Herz auch bei Merkel und den Taliban

Die Bindung der Kirchen nimmt ab, ihre Mitteilungen auch. Vor etwas mehr als einem Jahr sorgte Margot Käßmann durch ihre Popularität für eine kurze Zeit dafür, dass die Ansichten „der“ evangelischen Kirche etwas mehr Aufmerksamkeit erhielten. Ihr Nachfolger – weitaus unbekannter – dringt nur selten durch, erhält – wenn er sich äußert – eine eher unbedeutende Spalte. Auch die Kirche ist also abhängig von ihren „Promis“.

Alle zwei Jahre scheint das anders: Sogar die TAZ macht zum Kirchentag eine farbige Extra-Ausgabe, die sich ausschließlich zu der evangelischen Kirche und deren Position zu der real existierenden Welt beschäftigt.

Margot Käßmann darf bei so einem Kirchentag natürlich nicht fehlen. Es wäre ja auch merkwürdig, würde man ihr den Zugang verwehren. Dass sie dabei darum bittet, für die Taliban zu beten, ist aus kirchlicher Perspektive verständlich. Schließlich sollte sich das Christentum um Versöhnung in der Welt bemühen.

Merkwürdig ist wiederum, dass unser Verteidigungsminister diesen Vorschlag kommentieren sollte. Er spricht von den Gebeten ebenfalls als „nötig und sinnvoll“, mahnt aber die praktische Politik nicht aus den Augen zu verlieren. Natürlich ist die Grundaussage, dass Christen eben nicht mit Hass reagieren sollen, richtig. Irgendetwas stört mich aber daran, dass ein Vertreter unserer Regierung und somit unseres Staates überhaupt Ratschläge dazu gibt, welche Gebete sinnvoll sind und welche nicht. Seltsam ist auch, dass das Gebet in seinen Augen die Basis für praktische Politik sein kann. Irgendwie erscheint mir der Unterschied zwischen so etwas persönlichem wie einem Gebet und der praktischen Politik dann doch etwas groß. Außer er spricht ausschließlich von seiner Politik beziehungsweise seinen politischen Grundwerten, die sich halt auch in seinen Gebeten widerspiegeln. Aber dann geht uns das eigentlich nichts an.

Ich finde es in der Regel angenehm, welche Positionen die evangelische „Kirchenführung“ vertritt. Nicht nur, weil sie sich stark von denen der Katholischen Kirche unterscheiden, sondern weil sie vielen biblischen Gedanken von Toleranz recht nah sind. Dass es dabei manchmal Entgleisungen gibt, ist wohl dem Alter der Institution Evangelische Kirche geschuldet. Aber die Leitung der Evangelischen Kirche setzt damit ein gutes Gegengewicht gegenüber einigen Spinnern in der eigenen Basis. Letztendlich ist es eine Auszeichnung, von der konservativen Welt als „linksliberales Moralmilieu“ bezeichnet zu werden.

Mit diesem Begriff wundert sich die Online-Ausgabe der Zeitung nämlich darüber, dass Angela Merkel auf dem evangelischen Kirchentag freundlich empfangen wird. Dass das verwundert, ist schon heftig. Schließlich ist Angela Merkel immerhin die Tochter eines evangelischen Pastors. Warum sollte sie da nicht etwas positiv empfangen werden? Die Vermutung, dass die Frage nach der Atom-Kraft eine wichtige Rolle auf dem Kirchentag spielt, zeigt wie politisiert die Veranstaltung in vielen Teilen doch ist. Und das ist gut. Nicht, weil es gut ist, wenn sich die Kirche mit Forderungen an die Politik richtet. Das sollten wir hinter uns gelassen haben. Es ist gut, weil Gläubige sich auch darüber Gedanken machen sollten, ob sie beziehungsweise ihre Volksvertreter eigentlich nach christlichen Grundsätzen handeln. Das kann aber nicht von einer Kanzel oder einem EKD-Ratsvorsitzenden vorgegeben werden, sondern nur im Gespräch und in der Diskussion entstehen. Unter solchen Gesichtspunkten ist ein evangelischer Kirchentag etwas Gutes.

Wie der Welt-Artikel zeigt, ist der Kirchentag nicht nur für Besucher, sondern auch für unsere Kanzlerin etwas Gutes. Denn die hat gestern einen unfreundlichen Brief aus Hessen erhalten. Nachdem die CDU in Baden-Württemberg abgewählt wurde, die CSU selbst zur Dagegen-Partei avancierte, sind die strammen Konservativen aus Hessen die letzten Verteidiger einer angeblichen „Dafür“-Politik. Unter anderem sind sie dafür, dass die Union gegen schwarz-grün ist. Und sie sind dafür, dass die Union ihre Inhalte präsentiert. Und sie stellen fest, dass es gegenwärtig keine Alternative zu Angela Merkel gibt. Bei solch überzeugenden, programmatischem Eifer, kann sich die Kanzlerin wirklich freuen, auf dem Kirchentag etwas Zuspruch gefunden zu haben.

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