Wie Stimmen zählen

Vielen reicht es in Deutschland nicht mehr, einfach nur mit einer Erststimme, die den Wahlkreiskandidaten nach dem Mehrheitssystem wählt, und einer Zweitstimme, die die Prozente der Parteien im Parlament nach dem Verhältniswahlrecht bestimmen, zu wählen. Sie wollen mehr Einflussmöglichkeiten bei der Zusammensetzung des Parlaments haben. Das ginge unter anderem durch das kumulieren und panaschieren. Ich behaupte, dass mindestens so viele Menschen nicht wissen, wofür Erst- und Zweitstimme stehen, wie es Menschen gibt, die das ändern wollen. Dabei sollte man sich aber manchmal daran erinnern, dass es Länder gibt, in denen das Wahlrecht noch viel rigider ist als bei uns. Das beste Beispiel ist das Vereinigte Königreich. Dort wird knallhart nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt. Heute stimmen die Briten über eine Alternative ab, dabei zeigt sich, dass es die meisten gar nicht stört, wenn die meisten Stimmen verfallen.

Bei britischen Wahlen gibt es wie in Deutschland Wahlkreise. Bei uns bestimmt allerdings die Zweitstimme über die Zusammensetzung des Parlaments. Im Vereinigten Königreich kommt nur der ins Parlament, der in seinem Wahlkreis gewonnen hat. Man nehme an dem Konservativen gelingt das mit 35%, er hat die meisten Stimmen. In dem Fall verfallen 65% der Stimmen. Das ist ein krasses Beispiel, aber häufig kommen die siegreichen Wahlkreiskandidaten nicht über 50%, wodurch mehr als die Hälfte der Stimmen verfallen.

Am Beispiel Deutschlands kann man zeigen, was sich ändern würde, hätten wir dasselbe System. Nehmen wir vereinfacht an, man würde die Verhältniswahl einfach weglassen und die taktischen Wähler, die ihre Erststimme nicht einer kleinen, von ihnen bevorzugten Partei geben, ausblenden. Dann säßen im Bundestag nur 299 stat mehr als 500 Abgeordnete. Von denen wäre kein einziger in der FDP, nur Herr Ströbele von den Grünen säße dort und 16 Linke. Der Rest wären CDU und SPD, wobei die CDU mit 218 Mandaten vertreten wäre und damit aus ihrem Ergebnis von 33 Prozent, 73 Prozent der Sitze für sich beanspruchen könnte.

Natürlich kann man das nicht so einfach vergleichen, schließlich würden weniger Menschen den „kleineren“ Parteien ihre Stimme geben, da sie ja nicht wollen, dass die Stimme verfällt. Außerdem wären die Wahlkreise kleiner. Dadurch könnten einzelne Regionen innerhalb von Wahlkreisen (z.B. große Städte in denen die SPD in der Regel recht stark ist) eigene Wahlkreise bilden und für andere Verhältnisse sorgen. Aber eins ist klar: Das Mehrheitswahlrecht sorgt für noch massivere Verzerrungen des Wählerwillens als unsere 5-Prozent-Hürde.

Bei Wikipedia findet man die folgende, beeindruckende Graphik zu den Unterhauswahlen 2005. Sie zeigt, wie damals das Wahlergebnis verzerrt wurde:

Vor allem die Liberal Democrats, in Ansätzen vergleichbar mit unserer FDP, wären krass unterrepräsentiert. Denn eigentlich hatte die jetzige Koalition aus LibDems und Tories schon damals die Mehrheit der Wähler hinter sich. 2010 sahen die Verzerrungen nicht anders aus. Obwohl Labour und LibDems gerade einmal 8 Prozentpunkte auseinander liegen, zog Labour mit 258 (40% der Sitze)  und die LibDems mit 57 Sitzen (9% der Sitze) ins Unterhaus ein.

Dennoch kam es zu einem „hung parliament“, zum ersten Mal seit dem Krieg wurde wieder eine echte Koalition gebildet. Da setzten sich die Liberal Democrats natürlich für eine Wahlrechtsreform ein. Um genau zu sein, haben sie fast alle ihre Forderungen der Wahlrechtsreform untergeordnet. Ist ja klar, schließlich wollen sie das nächste mal stärker werden.

Allerdings hat man sich auf einen fahlen Kompromiss geeinigt, der zudem noch durch das Volk (heute!) verabschiedet werden muss: Alternative Vote. Wer sich unter diesem merkwürdigen Namen wie ich zunächst nichts vorstellen kann, dem hilft das folgende Video der AV-Unterstützer:

Es geht also nicht darum, dass jede Stimme zählt und die Verhältnisse im Parlament bestimmt. Im Gegenteil: Die Wahlkreise bleiben, doch der Sieger muss mehr als 50% der Stimmen auf sich vereinen. Das geschieht, in dem nacheinander die Erststimmen der schwächsten Kandidaten auf die nächstfolgende Präferenz verteilt werden. Das klingt kompliziert und wie ein furchtbarer Kompromiss.

Andererseits haben die Briten in einer Zeitspanne nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt, die mindestens doppelt so lang ist wie die des Wahlsystems der Bundesrepublik. Daher ist es verständlich, dass man es zunächst mit kleinen Änderungen versucht.

Leider waren die Liberal Democrats nicht besonders erfolgreich in der Regierung. Sie stimmten fast jedem Tory-Beschluss zu, unterstützten ein massives Sparpaket und erhöhten vor allem die Studiengebühren um das dreifache, obwohl sie sie zuvor abgelehnt hatten. Da die LibDems wie keine andere Partei für eine Änderung des Wahlrechts stehen, sehen viele die Wahlrechtsänderung kritisch. Denn obwohl sie nicht unbedingt den LibDems nützen würde, glauben viele, dass man vor allem die Liberaldemokraten dadurch stützt. Dementsprechend ist zur Zeit die Mehrheit der Briten gegen eine Änderung.

Doch das sollte man nicht nur den Liberaldemokraten zuschreiben. Denn die Briten haben auch einen Hang zu stabilen Verhältnissen, sie kennen es ja nicht anders. Ein „hung parliament“, also ein Parlament, in dem keien Partei mehr als 50 Prozent der Stimmen auf sich vereint, ist vielen ein Gräuel. Die Abstimmung heute wird zeigen, dass viele Briten ganz zufrieden damit sind, dass die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entfällt.

Zumal man bei einem anderen Wahlrecht ja auch keine Witze mehr über nicht legitimierte Politiker mehr machen könnte. Daher wird das folgende Video der AV-Unterstützer sicherlich nicht der letzte Witz über eigentlich nicht gewählte Politiker sein:

 

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