Ein Toter und das ganze Gefühlsspektrum
Wie reagiert man auf die Nachricht, dass der wohl meistgesuchteste Mensch der Welt tot ist? Die Amerikaner jubeln und feiern die gezielte Ermordung des Top-Terroristen Osama bin Laden. Oder war die Ermordung doch nicht geplant, hatten die amerikanischen Spezialkräfte viel mehr keine andere Wahl, als den Terroristen zu erschießen?
Vermutlich wird der gestrige Tag schon bald in die Annalen der Verschwörungstheoretiker eingehen, wie sich schonabzeichnet. In Deutschland sorgte wiederum zunächst die Regierung, in Form des twitternden Regierungssprechers, für Heiterkeit: Seibert verwechselte Osama mit Obama. Andere Seiten veröffentlichten augenzwinkernde Fotos, die den schwächelnden Obama stützen sollen. Die beste Überschrift gelang jedoch der deutschen Satire-Seite „Der Postillon“: „Du sollst nicht töten“: Millionen Christen feiern Verstoß gegen fünftes Gebot.
Die Überschrift ist bitterböser Sarkasmus und weist tatsächlich auf den unschönen Teil der ganzen Aktion hin: Die USA töten einen Menschen, der zugegeben Unrecht begangen hat, und die ganze Welt jubelt und applaudiert. Auch die deutsche Kanzlerin stimmt zusammen mit vielen anderen Regierungschefs von Ländern, die die Todesstrafe nicht praktizieren, Loblieder an. Da tut es gut, dass abends bei Beckmann wenigstens Helmut Schmidt sich zumindest etwas kritisch äußert und bezweifelt, dass die Ausschaltung völkerrechtskonform war.
Andererseits hat der „Sieg“ der US-Spezialeinheit die USA vermutlich in ein Dilemma gebracht. Lebendig wäre ihnen bin Laden wohl zur Last geworden. Egal ob verurteilt und hingerichtet oder als Selbstmörder in einer Zelle, alles hätte kein gutes Licht auf die Staaten geworfen. Daher mag ihnen die Wehrhaftigkeit des Terroristen gelegen gewesen sein. Dass die Leiche schnellstmöglich bestattet wurde, ist mehr als verständlich. Ein Muslim muss sowieso innerhalb von 24 Stunden bestattet werden. Eine Seebestattung lag nahe, möchte man doch keine Wallfahrtstätte erschaffen. Andererseits ziehen die USA damit verständlicherweise Kritik auf sich, wirkt der „Abwurf“ von einem Flugzeugträger trotz gesungener Gebete doch etwas lieblos. Aber was für einen Umgang kann man mit dem Verursacher des elften Septembers erwarten?
Obama hat gestern zehn Minuten zu dem Tod bin Ladens geredet. Er verlor kein Wort des Bedauerns, wirkte aber auch nicht euphorisch. Im Gegenteil: Seine Mimik während der Rede war erstaunlich steif. Lediglich seine linke Hand bewegte sich manchmal. Kühl, sachlich und entschlossen gab sich der amerikanische Präsident:
Vermutlich wird er damit einige Amerikaner, die an ihm gezweifelt haben, überzeugt haben. Sicherlich war das besser, als große Freude zu zeigen. Und er hätte wahrscheinlich schwächlich in den Augen der Amerikaner gewirkt, hätte er den Verlauf der Aktion bedauert. Schöner wäre es gewesen.
Jetzt ist vor allem aber wieder die Terrorangst da. Racheakte! CDU und FDP streiten sich daher über die Verlängerung der rot-grünen Anti-Terror-Gesetze. Der unverständlichste Vorschlag kommt dabei aber leider von der SPD. Siegmar Gabriel regt an, jetzt wieder zur Vorratsdatenspeicherung zurückzukehren. Nachdem das Bundesverfassungsgericht sie für rechtswidrig erklärt hat, möchte er an den Bedingungen des Gerichtes arbeiten und sie wieder einführen.
Warum er gerade jetzt diesen Vorschlag macht und nicht zunächst auf die Anti-Terror-Gesetze eingeht, ist unverständlich. Ebenso unverständlich ist aber auch, warum er die Speicherung überhaupt wieder einführen möchte. Studien haben erwiesen, dass sie nicht besonders effektiv ist. Im Gegenteil: Sie stellt das gesamte Volk unter Generalverdacht und ist in der Regel nur für die Nachbereitung eines Verbrechens geeignet. Schließlich müssen heftige Verdachtsmomente vorliegen, bevor das Abspitzeln durch die Behörden genehmigt werden darf.
In diesem Fall reicht es vor allem auch nicht aus, kurz eine Pressemitteilung in der Art „Ich bin dafür“ herauszugeben. Vorratsdatenspeicherung bewegt viele Menschen, vor allem Internet-Benutzer. Bei denen hat die SPD in letzter Zeit keine gute Figur gemacht. Das Thema Bürgerrechte, vor allem im Internet, überlässt sie immer mehr FDP und Grüne. Wobei die FDP das nicht nutzen kann, das leere Feld kommt einzig und allein den Grünen zugute, obwohl die während rot-grün mit ELENA ebenfalls gezeigt haben, dass sie von Datenschutz kaum etwas halten.
Nein, wenn schon so ein Vorschlag, dann sollte er auch ausgearbeitet sein. Gabriel ruft zwar die schwarz-gelbe Koalition dazu auf, sich endlich in dem Thema zu einigen. Aber eine konstruktive Opposition, die die SPD ja unter anderem auch sein möchte, muss auch klar machen, was die Bedingungen für Vorratsdatenspeicherung sind. Denn wenn man die Chancen des Prinzips nutzen möchte, muss man immer gleichzeitig dafür sorgen, dass jedem Bürger garantiert wird, dass seine Daten nicht ohne erhebliche, gesicherte juristische Prozeduren abgefragt werden können. Der simple Satz „Die SPD ist nach wie vor der Überzeugung, dass die Vorratsdatenspeicherung richtig ist“ ist in diesem Fall einfach zu dünn.
An anderer Stelle glänzt die SPD allerdings: Es zeigt sich immer mehr, dass das neue „News“-Konzept der SPD-Homepage sich auszahlt. Dadurch, dass die Redakteure auch ihre eigene Meinung, die nichts mit dem Parteivorstand zu tun hat, kundgeben, sorgt für mehr Aktualität. Auf jeden Fall ist die Seite aktueller als die anderen Partei-Seiten. Gestern hatte man bereits eine Reaktion von Siegmar Gabriel, heute erschien ein guter, nachdenklicher Kommentar, ob ein Tod wirklich ein Grund zum jubeln ist.
So bringt die Tötung Osama bin Ladens eine erhebliche Vielfalt: Ungebremste Freude, Zorn, Satire, Nachdenklichkeit und – mal wieder – hektische, politische Reaktionen.