Krieg, Atom, Armut. Was sie reden, was sie tun: Die Grünen (von Jutta Ditfurth)

Was soll jemand über die Grünen zu sagen haben, der vor über zwanzig Jahren aus der Partei ausgetreten ist? Irgendwann muss doch mal Schluss mit dem Abrechnen sein. Diese Gedanken trug ich mit mir rum, als ich begann, das Buch zu lesen. Wohlbemerkt: Dies ist nicht das erste Buch Ditfurths über die Grünen. Zehn Jahre nach ihrem Parteiaustritt schrieb sie bereits „Das waren die Grünen: Abschied von einer Hoffnung“. Daher wirkt das Buch von außen wie ein verzweifeltes, zweites Nachtreten auf eine Partei, die die eigenen Werte nicht mehr teilt.

Die Lektüre des Buches belehrt jedoch eines Besseren. Denn Jutta Ditfurth macht nicht den Eindruck einer verbittert Nachtretenden, eher den einer enttäuscht Aufklärenden. Sicherlich ist der Unterschied zwischen den beiden Einordnungen subjektiv und die Grenze recht dünn. Doch die Autorin macht schnell deutlich, dass sie nur ein Ziel mit dem Buch hat. Sie will zeigen, dass die Grünen nur eins sind: Eine stinknormale Partei – mit allen Eigenschaften, die die etablierten Parteien in Deutschland mit sich bringen.

Wobei man hinzufügen muss, dass das für die Autorin bedeutet, dass die Grünen Teil eines groß angelegten „neokonservaitven Rollbacks“ sind beziehungsweise in Teilen sogar deren „Motor“.

Das Buch ist – Überraschung – in thematische Kapitel eingeteilt.

Jutta Ditfurth beschäftigt sich zunächst mit der Scheinheiligkeit der Grünen bei den Castor-Protesten. Dabei geht sie weitaus tiefer auf die Widersprüche ein, als das sonst in den Medien (und in Satiren) getan wird. Sie lässt nämlich diejenigen zu Wort kommen, die auch während der rot-grünen Regierung protestiert haben und damals auf keine Unterstützung von den Grünen hoffen durften. Anhand der kriminalisierten Schotterer macht sie deutlich, wie die Grünen (aus ihrer Sicht) effektive Demonstrationen verhindern. Außerdem geht sie darauf ein, wie die Grünen der Polizei den Rücken stärken.

Danach reist sie bereits die Kernfrage an: Ist der Hype um die Grünen eigentlich gerechtfertigt? Steckt hinter der Forderung, möglichst bald aus der Atomkraft auszusteigen, ein Programm, dass den Menschen hilft?

Das dritte Kapitel hat mit den heutigen Grünen eigentlich nichts zu tun, denn Ditfurth schildert darin ihre Sicht auf die Anti-AKW-Bewegung der 70er Jahre. Dabei verweist sie auf eine interessante Tatsache: Es werde immer von den großen Anti-AKW Protesten der 80er gesprochen, dabei fing die Bewegung schon Anfang der 70er an. Nur gab es damals die Grünen noch nicht, weswegen die Erwähnung der Partei wenig nütze. Ihre Beschreibungen sind verständlicherweise subjektiv, da sie immer das selbst Erlebte wiederspiegeln.

Im folgenden Kapitel wird das natürlich etwas kritisch. Hier beschreibt sie wie der „Fundi“-Flügel von Frankfurt ausgehend, immer mehr an Einfluss verliert. Die „Realos“ setzen sich bis 1990 durch. Das ist verständlicherweise eine sehr einseitige Beschreibung. Neben einigen interessanten Kleinigkeiten (z.B. der Hinweis dass „Fundi“ ein durchaus abwertender Begriff ist, der von Realos platziert wurde) werden einem aber doch viel über Handlungs-und Wirkungsweise des rechten Flügels der Grünen deutlich. Vor allem die Passagen über die ersten Fraktionsreisen nach China sind geradezu wiederlich. Alle Aussagen, die Fischer und Co moralisch „belasten“, sind dabei dokumentiert.

Das Kapitel konzentriert sich aber vor allem darauf, wie die Forderung „Atomkraftwerke sofort abschalten“ aufgeweicht wurde. Dabei ist interessant zu beobachten, wie schon an dieser Frage viele Grüne schnell ihre Prinzipien neu sortieren, sobald sie an Regierungen beteiligt sind.

Besonders gelungen ist Ditfurths Kapitel über Stuttgart 21, das sie als „Die Kunst des Verrats“ bezeichnet. Denn in den Medien waren meist die Grünen im Zusammenhang mit Stuttgart 21 erwähnt und konnten insofern Popularität einheimsen. Das hat der Bewegung auf den ersten Blick nicht geschadet, im Gegenteil, sie erlangte so mehr Aufmerksamkeit. Doch gerade der Schlichtungsprozess, den die Grünen angestoßen haben, wird von Ditfurth sehr kritisch gesehen. Vermutlich zurecht, denn seitdem sind in Umfragen die meisten Bürger Baden-Würtembergs für den Bahnhof-Umbau. Außerdem ist die Frage, warum gerade die Grünen bei der Schlichtung so prominent vertreten waren, durchaus berechtigt. Ditfurth unterstellt vor allem Kretschmann, dass er einfach Angst hatte, die Demonstrationen könnten außer Kontrolle geraten. In diesem Fall war die Einleitung des Schlichtungsprojektes eine gute Sache, weil sie deeskalierend wirkte. Aber aus Ditfurths Perspektive sorgte die Aktion für eine Spaltung und eine Schwächung der Bewegung.

Der vorletzte Teil hätte auch schon im vorherigen Grünen-Buch, das 2000 erschienen ist, stehen können. Hier beschäftigt sich Ditfurth mit den Kriegen der Grünen. Gerade der erste Teil ist sehr interessant, denn hier wird die Wendung fundamentaler Pazifisten zu Ja-Sagern einer rot-grünen Bundesregierung dokumentiert. Das liest sich beinahe spannend und ist teilweise auf böse Art witzig, wenn Abgeordnete sagen, sie würden niemals für einen Krieg stimmen und wenig später die Hand bei „JA“ heben. Inhaltlich pikanter sind dann aber die Analysen, wie der Kosovo-Krieg überhaupt zustande kommen konnte, wobei Ditfurth hier so viel konstruiert, dass man als Laie wohl nicht in der Lage ist nachzuprüfen, ob Ditfurth oder Fischer recht hat.

In einem letzten, kurzen Kapitel erinnert Ditfurth noch einmal daran, dass sich die Grünen eben so wenig um das Soziale in Deutschland verdient gemacht haben wie die SPD von 2003 bis 2005. Die Grünen hätten die Agenda sogar mit noch größeren Mehrheiten mitgetragen als die SPD. Außerdem zeigt sie anhand einiger Biografien, wie Grüne ihre Wege in die Raucherlobby, die Medizinlobby und sogar die Atomlobby (!) fanden.

Das Buch lässt also kein einziges gutes Haar an den Grünen. Im Gegenteil: Ditfurth wirft der Partei vor, sogar noch schlimmer zu sein, als die Konservativen. Die würden wenigstens zu ihren Inhalten stehen. Die Grünen wiederum täuschten durch ihr Image ein relativ soziales Wählerklientel, machten in ihrem Machtwahn aber genau dieselbe Politik wie die CDU.

„Was sie reden, was sie tun“ ist deswegen besonders interessant, weil es eine kritische Abrechnung mit den Grünen ist, die noch Linker steht, als dieselben. Die billigen „Dagegen“-Kampagnen von CDU und FDP zur Zeit sind einfach nur peinlich. Ditfurth zeigt, dass die Grünen inhaltlich genau so viele Widersprüche aufweisen wie zum Beispiel die SPD.

Das Buch macht deutlich, dass die Grünen genau wie die FDP zur Zeit davon profiziert, am längsten in der Opposition gewesen zu sein. Es zeigt jedoch auch, dass die Grünen ihr „Image“ am Besten bewahren können. Viele ihrer Aktionen widersprechen grundlegend dem Profil der Partei und werden von den Wählern nicht bestraft. Besonders erwähnenswert sollte dabei sein, dass noch im April 2010, also vor einem Jahr, die Grünen in der Hamburger Bürgerschaft gegen (!) eine Anti-AKW-Demonstration gestimmt haben, bloß um die Koalition mit der CDU nicht zugefährden. Gerade diese Aktion zeigt: Die Grünen haben gute Inhalte, wie die SPD in vielen Teilen auch. Aber genau wie die anderen Parteien in Deutschland sind auch sie gewillt, die Inhalte für die Macht über Bord zu werfen. Die Heilspartei, als die sie gerade wirken, sind sie nicht, sondern eine machtorientierte Partei wie die fünf anderen im Bundestag.

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