Scherben der Ehre (von Lois McMaster Bujold)

„Scherben der Ehre“ ist chronologisch gesehen der erste Roman des „Barrayar“-Zyklus. In dem Zyklus geht es in erster Linie um Miles Vorkosigan (weswegen das Ganze auf Englisch auch Vorkosigan-Series heißt). Nach vielen Jahren Pausen ist im vergangenen Jahr ein neuer Roman mit dem Namen „Cryoburn“ erschienen. Der Clou an dem Roman war, dass ihm eine CD beigelegt wurde, auf der alle bisherigen Romane der Serie als Datei gespeichert sind. Da die Barrayar-Roman in Deutschland seit langem nicht mehr von Heyne neuaufgelegt wurden, mir das letzte Viertel der Romane somit fehlte und die letzte Lektüre mehrere Jahre her ist, habe ich mich entschieden, noch einmal von Vorne zu beginnen.

Cordelia ist ein Kapitän einer biologischen Mission der Beta Colony. Als sie einen bisher unbekannten Planeten erforscht, wird ihr Trupp von barrayanischen Soldaten angegriffen. Der Großteil der Gruppe kann zwar fliehen, doch Cordelia muss mit einem schwer verletzten Crewmitglied zurückbleiben und sich vor den barrayarnischen Soldaten verstecken. Nachdem die Barrayaner verschwunden sind, trifft sie auf deren Anführer und entdeckt, dass es sich bei dem Angriff um ein Komplott handelte, mit dem eine Gruppe Meuterer ihren Anführer durch einen „Unfall“ sterben lassen wollte. Gemeinsam mit Aral Vorkosigan, der sie formell gefangen nimmt, versucht sie zurück in die Zivilisation zu gelangen. Dabei muss sie feststellen, dass Barrayaner zwar ganz anders und vor allem militärischer Denken als die Bewohner der Beta Colony, aber dass sie dadurch nicht weniger sympathisch sind…

„Scherben der Ehre“ beginnt hektisch mit dem Angriff der Barrayaner auf das Camp und entwickelt sich auch sonst recht schnell weiter. Im Verlauf des Romans erlebt man den Rückkehr in die Zivilisation, das Ende der Meuterei, Cordelias Flucht vor den Barrayanern, den Krieg der Barrayaner gegen Escobar und die Beta Colony, Cordelias erneute Gefangennahme, die Entdeckung, dass der Krieg nur eine Farce ist, die erneute Rückkehr in die Beta Colony, die Flucht Cordelias von dort, die Rückkehr nach Barrayar und die Hochzeit mit Aral Vorkosigan. An diesem langen Satz merkt man, dass der Roman an Handlung nicht gerade geizt, zumal wenn man sich vor Augen führt, dass der Umfang des Buches gerade einmal 210 Seiten beträgt.

Der Handlungsreichtum ist auch die größte Stärke des Buches, denn er verhindert, dass dem Leser langweilig wird. Und in gewisser Weise täuschen die vielen Handlungswechsel auch über einige Schwächen hinweg.

Denn schon während der gemeinsamen Flucht auf dem unbewohnten Planeten ist klar, dass sich Vorkosigan und Cordelia ineinander verlieben. Vorkosigan macht ihr sogar einen Heiratsantrag. Dabei ist völlig schleierhaft, wieso Cordelia die Gefühle Arals erwidert. Denn er ist zwar ein Mann, der auf seine Ehre bedacht ist, doch seine Ansichten auf die Weltsind dennoch ganz anders als die Cordelias. Sowieso arbeitet Bujold sehr wenig an ihren Charakteren. Bis auf diese Wandlung zu Beginn passiert eigentlich nichts. Zumindest verändern die Charaktere nichts an ihren Einstellungen.
In dieser Hinsicht ist es gut, dass Bujold ein externes Argument für die Hochzeit zwischen Cordelia und Aral bemüht. Denn als Cordelia aus dem Krieg zurückkehrt und nur positiv über Aral Vorkosigan spricht, und sich der Propaganda-Maschine verweigert halten alle sie für eine barrayanische Spionin, die mental verändert wurde. So bemerkt sie, dass die Beta Colony gar nicht so viel besser ist als Barrayar.

Neben der Liebesgeschichte zwischen Cordelia und Aral wird allerdings noch ein abstruses politisches Komplott erzählt, in dessen Mitte Aral steht. Barrayar wird von einer Adelskaste beherrscht, deren Macht aber auf einer aufstrebenden bürokratischen Kaste basiert. Nach vielen Jahren des Bürgerkriegs hat der Imperator dafür gesorgt, dass wieder Stabilität auf Barrayar herrscht. Allerdings ist der Sohn des Imperators halb verrückt. Es stellt sich letztendlich heraus, dass der Krieg gegen Escobar nur geführt wurde, damit Aral dafür sorgen kann, dass der Prinz stirbt. Diese Komplottidee ist so irre und wahnsinnig, dass sie Aral Vorkosigan danach auch sehr mitnimmt.
Bujold gelingt es diese unglaubich unsinnige Idee vernünftig wirken zu lassen. Erst nach der Lektüre bemerkt man, was für einen Unsinn man da eigentlich gelesen hat.

Obwohl Bujold sehr viel Mühe aufbringt, die politischen Verhältnisse auf Barrayar zu erklären, bleibt ein Problem bestehen. Die Bewohner aller Welten scheinen Menschen zu sein, Alien – so wird in einer Passage erwähnt – wurden bisher nicht gefunden. Daher bleibt die Frage, woher die Menschen kommen – auch die Erde wird nämlich einmal erwähnt, es scheint sie noch zu geben.
Trotzdem muss man sagen, dass Bujold viel Gewicht auf das Erklären politische Vorgänge gibt, was bei einer Geschichte über ein politisches Komplott auch nötig ist. Zum Schluss hat man so eine gute Übersicht über die verwirrenden und gefährlichen politischen Zustände auf Barrayar. Da Vorkosigan zum Schluss vom Militär in die Politik wechselt, bietet das auch noch genügend Stoff für eine weitere Geschichte mit Aral Vorkosigan, die ja auch noch folgt, befor dann die eigentliche Handlung mit Miles losgeht.

„Scherben der Ehre“ liest sich gut, weil es immer wieder zu überraschenden Handlungswechseln kommen. Die eigentlichen Haupthandlungsstränge, die Liebe zwischen Cordelia und Aral und das Komplott, mit dem der Prinz getötet werden soll, sind leider nicht wirklich gelungen. Es spricht aber schon viel für Bujold, dass sie eine stereotype und eine unsinnige Handlung gut leserlich und spannend verarbeitet. Trotzdem ist „Scherben der Ehre“ eine eher schwache Vorgeschichte, die ganz nett zu lesen ist, aber halt auch nicht mehr.

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