The Haunting of Tram Car 015 (von P. Djèlí Clark)
|Hamed Nasr ist ein Agent des Ägyptischen Ministeriums für Alchemie, Verzauberungen und übernatürliche Wesen. An dem Tag im Jahr 1912 als er mit Oni Youssef einen neuen Partner zur Seite gestellt bekommt, erhält er einen ungewöhnlichen Auftrag: Der Straßenbahnwagen 015 ist von einem magischen Wesen besessen. Er musste stillgestellt werden und die Eisenbahnbehörde ist dringend auf die Hilfe der beiden Agenten angewiesen. Nasr und Youssef merken jedoch rasch, dass es sich bei dem Geist nicht nur um ein hartnäckiges, sondern auch um ein gefährliches Wesen handelt.
Clark erschafft in der Novelle „The Haunting of Tram Car 015“ eine beeindruckende alternative Geschichtsschreibung. In dieser Welt tauchten im Laufe des 19. Jahrhunderts viele mystische Wesen, vor allem im arabischen Raum auf. Das veränderte den Lauf der Weltgeschichte. Denn die westlichen Nationen waren nicht besonders gut auf diese Veränderung vorbereitet, während man in Ägypten nicht nur rasch eine zuständige Behörde gründete, sondern das Auftauchen dieser Wesen für die eigene wirtschaftliche Entwicklung nutzte. Clark beschreibt ein Cairo, indem Djins und Dämonen schon seit einigen Jahrzehnten zur neuen Normalität gehören. Das gelingt sehr gut, bereits nach den ersten Seiten akzeptiert man die Prämisse, in dieser Novelle zwei übernatürliche Schädlingsbekämpfer bei der Arbeit zu beobachten.
Doch die Kulisse der Novelle ist nicht nur reich an übersinnlichen Wesen. Nasr und Youssef arbeiten in einem bewegten Ägypten. Während sich die westlichen Nationen langsam an die gewandelte Weltlage anpassen, drängen in Ägypten Frauen an die Macht und fordern das Wahlrecht für Frauen. Scheinbar hat die Nutzung der Geister nicht nur die Wirtschaft dieser Länder beflügelt, sondern auch dazu geführt, dass sich durch das frühere Abschütteln der britischen Kolonialherrschaft demokratische Normen rascher durchgesetzt haben. Die Ministerialagenten sind zudem bei weitem nicht die einzigen Akteure, die sich mit Geistern auseinandersetzen. Sie sind in ihrer Arbeit häufig darauf angewiesen, dass andere Djinns ihre Störenbolde davon überzeugen, sich friedlicher zu verhalten. Das ist kostspielig. Wenn das Budget dies nicht hergibt, wendet man sich in seiner Verzweiflung auch mal an spirituelle Frauen in der Hoffnung, dass deren Rituale ebenfalls wirken. Da Nasr und Youssef als Agenten oft klar erkennbar sind, erhalten sie immer wieder Tips von Kellnerinnen oder anderen Beamten. Durch diese Nebenhandlungen und -charaktere wirkt Clarks Alternativ-Cairo sehr lebendig und pulsierend.
Die Handlung um den bessenen Waggon startet zunächst als Behördenakt. Der Wagen kann nicht mehr verwendet werden, es muss etwas getan werden. Doch was wie eine Routinesäuberung startet, wandelt sich bald in ein kniffliges Rätsel. Denn eigentlich übernehmen Djinns keine Wagen. Daher müssen Nasr und Youssef in Bibliothken in Mystikbüchern recherchieren, womit sie es überhaupt zu tun haben und aufgrund ihres angespannten Budgets kostengünstige Wege zur Entfernung des Djinns auftreiben. Diese erste Hälfte der Novelle lebt neben der grandiosen Kulisse von den unterhaltsamen Spannungen zwischen dem noch nicht eingespielten Ermittlerteam. Später stellt sich der Djinn tatsächlich als eine Bedrohung, vor allem für Frauen, heraus. Clark gelingt dadurch eine Brücke zu der zunächst nur im Hintergrund agierenden Frauenbewegung zu bauen. In einem spannenden Showdown stellt sich weibliche Solidarität als die größte Hilfe im Kampf gegen den Djinn heraus.
„The Haunting of Tram Car 015“ bietet dem Leser ein faszinierendes Setting, in dem man gerne noch länger verweilen würde. Dies wird mit einer Ermittlung verbunden, die zunächst wie ein Rätsel wirkt. Bald verwandeln sich die Agenten aber in tatsächliche Polizisten und schützen die Straßen und Frauen Kairos vor einer tatsächlichen Bedrohung. Clark erzählt mit dieser übersinnlichen Polizeiarbeit nicht nur ein spannendes Abenteuer, sondern auch ein Bild einer Polizei, die sowohl die Zivilisten, die sie beschützt respektiert, als auch davor zurückschreckt ihre Ermittlungsobjekte zu pauschalisieren. Sie unterscheiden nicht nur zwischen guten und schlechten Djinns, sondern sind immer bereit, mit ersteren zusammenzuarbeiten. Am Ende dieser unterhaltsamen Lektüre wirken im Vergleich zu Polizeiarbeit und Machtverteilung in unserer Welt sowohl die alternative Geschichtsschreibung mit magischen Wesen als auch das Ägypten und die Ministeriumsagenten dieser Welt wie eine kleine, träumerische Utopie.
Die Novelle „The Haunting of Tram Car 015“ von P. Djèlí Clark ist für den Hugo Award 2020 in der Kategorie „Best Novella“ nominiert.