The Wall (von Lizz Huerta) & Read After Burning (von Maria Dahvana Headley)
|Die beiden Kurzgeschichten sind Teil der Anthologie „A People’s Future of the United States“, die 2019 im „One World“-Verlag erschienen und von Victor LaValle und John Joseph Adams herausgegeben wurde. Die Anthologie schickt sich an, in einer Mischung aus lichten und dunklen Themen Utopien und Dystopien miteinander zu verbinden und Charaktere, die zwar an ihrer jeweiligen Gegenwart verzweifeln, dabei jedoch nicht aufgeben, sondern für eine bessere Welt kämpfen, in den Mittelpunkt zu stellen.
„The Wall“ von Lizz Huerta beschreibt eine Zukunft, in der die USA eine noch restriktivere Einwanderungspolitik durchgesetzt haben und zudem ihre Soldaten einer Gehirnwäsche unterziehen, sodass sie brutal gegen jede Art von Widerstand vorgehen. Auf der mexikanischen Seite des Grenzwalls organisiert sich eine Community von Flüchtlingen (aus den USA), die dem neuen konservativen Regime entflohen sind und sich in Mexiko eine neue Zukunft trotz der grassierenden Ressourcenknappheit aufbauen möchten. Gleichzeitig helfen sie Flüchtlingen aus den USA, die durch die Gehirnwäsche geschaffenen Mauern im Kopf zu überwinden.
Huertas Kurzgeschichte ist ausgesprochen sparsam mit Details über die tatsächlichen Verhältnisse in den USA. Die einstige Demokratie hat sich in eine autoritäre Diktatur verwandelt. Es scheint als hätten konservative Bewegungen und der zunehmende Mangel an Ressourcen nicht nur zu einer restriktiveren Einwanderungspolitik geführt, sondern bald auch zu einer generell restriktiveren Gesellschaft. Die Erzählung lebt von zwei Aspekten. Zunächst ist die Personenkonstellation interessant. Die Erzählerin beschreibt Momente aus ihrem Leben, Proteste zu denen ihre Eltern sie mitgenommen haben, die zunehmende Gewalt der amerikanischen Sicherheitskräfte, die Flucht, das entbehrungsreiche Leben danach. Die Geschichte ist von Verlust gekennzeichnet, aber auch von relativ komplexen Sozialstrukturen auf der mexikanischen Seite. Das ist atmosphärisch ausgesprochen stimmig und angesichts der Verluste der Erzählerin ist ihre Arbeit, amerikanischen Soldatinnen zu helfen, ausgesprochen beeindruckend. Allerdings bleiben hinsichtlich der tatsächlichen sozialen Verhältnisse in der Gruppe am Ende einige Fragen offen, was etwas unbefriedigend ist. Der zweite gelungene Aspekt ist die offensichtliche Verbindung zwischen der materiellen Mauer zwischen den USA und Mexiko sowie der Mauer in den Köpfen der Menschen. Das ist eigentlich eine platte These, doch Huerta gelingt es, diese Metapher unterhaltsam und glaubwürdig auszubauen. Nur mit Gehirnwäsche kann die Regierung die permanente Mauer in den Köpfen ihrer Bürger aufrecht erhalten und somit die Legitimation des Grenzwalls sichern. Huerta erinnert mit dieser Vermischung aus politischem Statement und der beschriebenen vielfältigen Solidarität der Aussteigergemeinschaft daran, dass reale Mauern nur dadurch verhindert werden können, dass die Mauern in den Köpfen der Menschen eingerissen werden.
„Burn After Reading“ von Maria Dahvana Headley beschreibt eine Zukunft, in der Bücher in den USA verbannt werden. Und nicht nur das, die Regierung arbeitet daran, dass die Bevölkerung insgesamt die Vielfalt ihrer Sprache reduziert. Die Geschichte ist aus der Perspektive einer Gruppe ehemaliger Bibliothekare erzählt, die Wissen bewahren, indem sie Bücher auf die Haut ihrer Anhänger tätowieren. Die Tattoos werden in mehreren Hautschichten angebracht und können nach dem Tod zu einem Buch zusammengefügt werden. Kinder sind so häufig die Fortsetzung der Geschichten, die ihre Eltern erzählen. Als die Unterdrückung durch die Regierung immer stärker wird, gerät auch diese Bewahrungsgemeinschaft zunehmend unter Druck. In einer spektakulären Aktion zieht die Anführerin der Gruppe mit den Kindern der Gemeinschaft in eine Stadt und verbrennt sich sowie die aus menschlicher Haut entstandenen Bücher. In einer Reaktion, die die Kinder nur als Magie interpretieren können, erreicht sie mit dieser Aktion einen gesellschaftlichen Wandel.
Headleys Kurzgeschichte bleibt am Ende relativ vage darüber, welche Art Wandel die Bibliothekarengruppe erreicht. Das ist etwas schade, denn der Rahmen der Geschichte deutet darauf hin, dass die Aktion etwas verändert. Außerdem ist der Rest der Erzählung recht konkret gehalten, sodass das vage Ende etwas unpassend wirkt. Abgesehen davon ist die Geschichte jedoch die bisher stimmungsvollste der Anthologie. Eine autoritäre Regierung hat richtig erkannt, dass Gedanken die größte Gefahr für sie und ihre marodierenden Soldaten darstellt. Also reduziert sie im Orwellschen Sinne die Möglichkeiten ihrer Bewohner, sich auszudrücken. Das ist bereits sehr dystopisch. Die Gemeinschaft einstiger Gelehrter ist eine ausgesprochen kreative, gruselige und stimmungsvolle Idee. Das Bewahren von Büchern auf der Haut ihrer Anhänger, das temporäre Verstecken und anschließende Zusammensetzen in Form konservierter Haut bewegt sich irgendwo zwischen schaurig und genial angesichts der drohenden Auslöschung allen früheren Wissens. Die dadurch geschaffene Atmosphäre entsteht gerade durch die Erzählperspektive eines Heranwachsenden in der Gemeinschaft, der seinen Eltern als Bücher wieder begegnet. Seine Perspektive auf Bücher und die Informationen sind dabei ebenfalls nicht mehr rational, sondern setzen die Werke mit Magie gleich. Die Welt verändert sich durch die Diktatur, und die Bibliothekarinnen verändern auch die bewahrten Werke, reinigen sie von Sexismus und Rassismus, und schaffen durch ihren Drang, vergangenes zu bewahren etwas gänzlich Neues. Das Ende des Ganzen ist ungewiss, der Wandel, den die angebrochene Revolution anstößt keineswegs garantiert. Und doch zeigt diese teilweise auch durch ihre Uneindeutigkeit atmosphärisch starke und gleichzeitig packende Kurzgeschichte wie das Engagement Einzelner durch den kritischen Umgang mit Wissen Veränderungen anstoßen und Menschen berühren kann.