The Mushroom Queen (von Liz Ziemska)
|Mitten in der Nacht kommt einer Frau der Gedanke, dass sie ihrem Leben an der Seite ihres Mannes am Liebsten entfliehen möchte. Mit dieser Überlegung betritt sie ihren Garten und wird kurz darauf von der Erde verschlungen. Die Pilzkönigin ersetzt sie, sie hat die Situation lange beobachtet und möchte endlich Liebe spüren. Während der Gatte nichts bemerkt, fällt der Nase des jüngsten Hundes der Familie sofort auf, dass etwas nicht stimmt. Da sie sich nur in eine Richtung fortbewegen kann, bleibt der Frau derweil nichts anderes übrig, als in ihrer dekompostierten Form einmal um die Welt zu reisen.
„The Mushroom Queen“ ist eine im positiven Sinne fremdartige Kreatur. Die Kurzgeschichte stürzt sich auf die Tatsache, das Pilzsporen die wohl am weitesten verbreiteten Lebewesen sind. Hier entscheidet sich ein weit entwickeltes Sporenwesen, das Leben einer menschlichen Frau zu übernehmen. Dabei stößt sie an allerlei Grenzen: Weder das Essen noch das menschliche Zusammenleben oder menschliche Schlafrhythmen sind zum Beispiel nicht wirklich nach ihrem Geschmack. Je mehr ihr Enthusiasmus abklingt, desto mehr verwandelt sie sich in ihr ursprüngliches Selbst, vernachlässigt die Hunde und beginnt sich das Heim der von ihr ersetzten Frau mit Pilzen und Schimmel zu durchsetzen. Denn obgleich das menschliche Leben ihr nicht zusagt, ist sie nicht gewillt, das von „ihr“ eroberte Territorium in Form des Mannes, der Hunde und des Hauses aufzugeben. Ihre Gedankengänge sind in der Kurzgeschichte dabei klar und präzise beschrieben und bilden die Grundlage für die Strahlkraft der Erzählung.
Der jüngste Hund wiederum ist ein konventionellerer Charakter. Er erkennt am Geruch, dass es sich bei dem Eindringling nicht um seine Herrin handelt. Wie sein Frauchen hegt er hauptsächlich negative Emotionen gegenüber dem „Mann des Hauses“ und glaubt nicht, dass diesem der Wandel auffällt. Sein Schicksal ist das Tragischste in der Erzählung: Während seine Szenen lange Zeit monoton verzweifelt sind, muss er mit dem Verlust seiner Gattin sowie mit dem Ausblick auf Liebesentzug für den Rest seines Hundelebens zurecht kommen. Dies gipfelt in einer tragisch-resignierten Szene am Ende der Kurzgeschichte, in der er von seiner Herrin gebildete Pilze frisst (die er nicht vertragen dürfte). Der Weg dahin ist nicht so faszinierend wie die Beschreibungen der Pilzkönigin, das Ende des Hundes überzeugt wiederum.
Die menschlichen Charaktere spielen in „The Mushroom Queen“ eher eine Nebenrolle. Der Gatte tut so als merke er den Unterschied in seiner Frau nicht. Dabei fällt ihm zunächst eine Wendung zum Positiven auf, später nutzt er die Veränderung für eine außereheliche Affäre. Er ist sich nicht im Klaren darüber, dass die Pilzkönigin auf Dauer an seiner Vergiftung durch Schimmel arbeitet. In seiner passiven Zufriedenheit mit der Abwesenheit ernsthaften Streits arbeitet er an seinem eigenen Verderben. Die Reise der Frau überzeugt am Wenigsten. Dennoch ist ihr – wie dem Hund – ein starker Auftritt am Ende vergönnt. Sie realisiert, dass ihr Gatte längst gemerkt hat, dass sie nicht mehr da ist. Das bedeutet auch, dass sie ihm egal ist. Und letztlich war auch ihr Gedanke zu Beginn dieser Fantasy-Erzählung, dass sie am Liebsten verschwinden würde. Die Geschichte ist sehr gut auf diese deprimierende Realisierung hingeschrieben: Die veränderten Umstände, auch wenn sie für beide Menschen einen (lebensgefährlichen) Lebenswandel bedeuten, sind immer noch besser als die de facto gescheiterte Ehe.
Aus dem Motiv Sehnsucht nach Flucht und dem erzwungenen Verlust des menschlichen Körpers hätte man vermutlich noch mehr machen können. Außerdem überzeugen einige Abschnitte – wie die Reise der Frau – nicht ganz. Trotzdem machen vor allem die Schilderungen der Pilzkönigin und das überzeugende Ende die Kurzgeschichte lesenswert.
Die Kurzgeschichte „The Mushroom Queen“ ist 2015 in der Zeitschrift „Tin House“ erschienen. Sie ist außerdem ein Beitrag in der Anthologie „The Best American Science Fiction and Fantasy 2016“, herausgegeben von Karen Joy Fowler und John Joseph Adam.