The Ten Thousand Doors of January (von Alix E. Harrow)
|January Scallers Vater jagt um die Jahrhundertwende weltweit nach exotischen Artefakten für den Reichen Amerikaner Mr. Locke. Da ihr Vater dementsprechend häufig abwesend ist, wächst das junge schwarze Mädchen bei Locke auf, der zudem Vorsitzender der New England Archaeological Society ist. Ihr Leben ist langweilig, auch weil Mr. Locke ausgesprochen konservative Erwartungen an sie hat. Dennoch findet January regelmäßig Bücher in den archäologischen Fundstücken ihres Vaters, die sie für Geschenke des heimlich doch liebenswürdigen Lockes hält. Außerdem trifft sie bereits in früher Jugend auf Türen in andere Welten, von denen Locke sie jedoch fern hält. Eines Tages stößt sie auf das Buch „The Ten Thousand Doors of January“. Darin erfährt sie von einer Liebesgeschichte einer Frau aus ihrer Welt mit einem Mann aus einer anderen Welt, ermöglicht durch Türen zwischen den Welten. Je mehr sie in dem Buch voranschreitet, desto deutlicher wird, dass es sich dabei um die tragische Geschichte ihrer Eltern handelt und dass Mr. Locke alles andere als ein harmloser Dandy ist.
January passt auf allen Ebenen nicht in die Welt, die Mr. Locke für sie vorgesehen hat. Seine Freunde sind Rassisten und seine Ziele widersprechen ihren Wünschen. „The Ten Thousand Doors of January“ beginnt als Geschichte kindlichen Eskapismus, des Träumens in andere Welten. January ist zutiefst unglücklich. Sie fühlt sich von ihrem Vater verlassen, worin Mr. Locke sie bestätigt. Sie kann die Erwartungen ihres Ziehvaters jedoch nicht erfüllen, gerät dadurch immer wieder mit ihm in Konflikt. Da liegt es Nahe, sich an andere Orte zu wünschen. Doch die Türen stellen sich nicht als Phantasie heraus, sie sind real. Der stärkste Teil des Romans ist Januarys Aufbegehren gegen Mr. Locke. Er möchte sie als erste Frau (und als erste Schwarze) in seine archäologische Gesellschaft aufnehmen – und erntet entschiedenen Widerstand. Dadurch eskaliert der latente Konflikt zwischen den beiden und January muss eine wichtige Entscheidung über ihr weiteres Leben nach der anderen treffen. Das ist spannend und temporeich erzählt.
Dabei gelingt es Harrow geschickt, Mr. Lockes Bild im Verlauf des Romans zu korrigieren. Der Leser glaubt genau wie January in jungen Jahren zunächst, dass hinter der harten Schale ein weicher Kern ist. Wie ein Kind wünscht man sich, das Mr. Lockes immer wieder betonte Liebe zu seiner Ziehtochter echt ist und er lediglich mehr Verständnis für ihre Wünsche aufbringen muss. Tatsächlich geschieht das Gegenteil. Hinter der bürgerlichen Fassade steckt ein teuflischer Plan, jedweden Kontakt mit anderen Welten unmöglich zu machen. Mr. Locke ist ein Vertreter der Ordnung, ein Profiteur der gesellschaftlichen Verhältnisse in unserer Dimension für den die wilden anderen Dimensionen eine Gefahr darstellen. Rassismus und Ausbeutung scheinen ihm tatsächlich ein Greuel, Unvorhersehbarkeiten aber noch viel schlimmer. Und so arrangiert sich Mr. Locke wie so viele Menschen mit ersterem, um letzteres zu verhindern. Diese Parabel ist gelungen, Mr. Lockes düstere Wandlung vom missverstehenden Ziehvater zum Antagonisten der stärkste Teil des Romans.
Ein wichtiges Element ist der Roman im Roman. Die Geschichte ist deutlich langsamer als Januarys Emanzipation und es bleibt über weite Strecken ungewiss, in welche Richtung sie steuert. Am Ende schließt sie nahtlos an Januarys Leben an und führt zu einer rührseligen Familienzusammenführung. Dieser Teil sorgt für die emotionale Stärke der Geschichte. Die Entwicklung von Januarys kritischem Denken und die langsame Enthüllung von Lockes Motiven sind jedoch deutlich stärkere Erzählungen als die Ereignisse um die Liebe zwischen Januarys Eltern. Diese Rückblenden in Form eines Romans im Roman hätte es eigentlich nicht gebraucht, da January als Charakter stark genug gewesen wäre, die Geschichte zu tragen. Zudem scheint es unwahrscheinlich, dass January Vater seine Lebensgeschichte auch aus der Perspektive ihrer Mutter aufschreibt, aber nicht mit January redet. Das wirkt zu konstruiert und steht dadurch in starkem Kontrast zu der sehr natürlich beschriebenen und erscheinenden Entwicklung Januarys.
„The Ten Thousand Doors of January“ ist eine sehr gelungen Coming-of-Age Geschichte. Januarys Kampf um Anerkennung und ihre Herkunft sind sehr gelungen, Mr. Locke ist ein furchteinflößender Stellvertreter für all die Menschen, die Anerkennung und Herkunft anderer negieren. In Verbindung mit den Türen und dem immer damit verbundenen Traum eines besseren Lebens erhält diese Auseinandersetzung einen die Welt transformierenden Charakter. Beides ist stark genug, dass es den Roman auch ohne die langwierigen Rückblenden und die Liebesgeschichte getragen hätte. Eine direkte Konfrontation zwischen January und ihrem Vater wäre stärker gewesen.
„The Ten Thousand Doors of January“ ist für die Hugo Awards 2020 in der Kategorie „Best Novel“ nominiert.