Gedenken (Star Trek: Picard, Episode 1×01)
|(Orig. Titel: Remembrance)
Jean-Luc Picard verbringt seinen Ruhestand auf seinem Weingut in Frankreich. Er hat die Sternenflotte aufgrund von Unstimmigkeiten verlassen: Als Romulus vor der Vernichtung stand, konnte er die Admiralität zunächst von einer Rettungsmission überzeugen. Als diese jedoch von synthetischen Lebensformen angegriffen wurde, entschied sich die Föderation, erst einmal sich selbst zu helfen, bevor man dem einstigen Erzfeind die Hand reicht. Diese Geringschätzung von Leben verärgert und verstört Picard auch heute noch nachhaltig. Sein Ruhestand wird gestört, als die junge Dahj vor seiner Tür steht. Sie scheint eine synthetische Lebensform zu sein, steht irgendwie mit dem verstorbenen Data in Verbindung und weiß nichts über ihre Hintergründe. Aber sie wird von romulanischen Agenten verfolgt und hat die Intuition, dass sie bei Picard in Sicherheit ist oder zumindest Hilfe finden wird.
Der oben angeführte Trailer für die neue „Star Trek“-Serie „Picard“ wirkte recht trashig. Die Pilotfolge setzt sich davon angenehm ab. Die Episode balanciert hektische und ruhige Momente sorgsam ab und bemüht sich gar nicht erst, eine in sich abgeschlossene Geschichte zu erzählen. Stattdessen ist von Beginn an klar, dass hier das Fundament für den Rest der Serie gelegt wird. Das geschieht mal direkt und platt: Picard erlaubt zum ersten Mal seit seinem Rücktritt als Admiral ein Interview. In diesem Interview geht alles schief, was schief gehen kann. Aber der Zuschauer erfährt zumindest, was mit Romulus passiert ist, dass synthetische Lebensformen den Mars angegriffen haben und das Picard über sein Versagen, die Rettung für die Romulaner zu organisieren, noch immer verstört ist. Außerdem erkennt man durch die tendenziösen Fragen der Journalistin schnell, dass sich die Föderation zumindest ein Stück von ihren Werten entfernt hat. Die Journalistin unterscheidet klar zwischen Föderationsbürgern und romulanischen Leben (bzw. den ältesten Feinden der Föderation). Dieser Start ist nicht besonders spannend und sehr konventionell inszeniert. Aber er wirft die Frage auf, was es mit dem Angriff auf den Mars auf sich hat und was der Angriff mit der Föderation gemacht hat.
Die eigentliche Handlung der Pilotfolge ist die Jagd romulanischer Agenten auf Dahj. Die junge Frau strebt eine Karriere am Daystrom Institut an, wird aber eines Abends in ihrer Wohnung von Agenten überfallen. Dies aktiviert ihre Programmierung und sie ist in der Lage, alle Agenten zu töten. In der Folge flieht sie zu Picard, der wiederum mithilfe seines Archivs herausfindet, dass sie den Vorstellungen Datas an eine Tochter geradezu perfekt entspricht. Bevor man mehr herausfinden kann, töten Agenten sie. Picard macht sich daher auf die Suche nach Dahjs Zwillingsschwester, die vermutlich in genau so großer Gefahr schwebt. In dieser Handlung fällt auf, dass die Schauspieler noch nicht richtig eingespielt sind. Dahjs Aussagen erscheinen teilweise zu gefühlsbetont. Picard wiederum trifft weitreichende Entscheidungen mit pathetischen Worten (er habe in seinem Ruhestand nur darauf gewartet, zu sterben), aber ohne besonders emotionales Schauspiel. Dazwischen gibt es jedoch auch gelungene Momente. Dahjs Unterhaltung mit ihrer Mutter (oder einem Programm, das ihre Mutter darstellt?) ist sehr überzeugend, Picards Schwierigkeiten, im Alter Verfolgungsjagden zu überstehen, ebenso. Dieser tragische Auftakt verbindet geschickt die unbekannten synthetischen Angreifer, die überlebenden Romulaner und die Frage, was aus den Werten der Föderation geworden ist. Trotz einiger (noch) nicht überzeugend wirkenden Charaktermomente, ist die Handlung um Dahj tragisches Ende also ein gelungener, weil das Interesse an der Serie weckender Auftakt.
Auch das Ende der Episode ist gelungen. Picard findet in der Leiterin der Daystrom-Abteilung für synthetisches Leben eine Verbündete und viele Informationen. Dadurch wird klar, dass Dahj eine Schwester gehabt haben muss. In einem Cliffhanger sieht man wie Dahjs Schwester tatsächlich in einer Kolonie überlebender Romulaner in einem einstigen Borg-Kubus lebt. Das allein wirft bereits viele Fragen auf. Es ist aber auch überzeugend, dass „Gedenken“ nicht noch mit Picards Suche nach einer Crew oder einem Team überfrachtet wird. Die Serie lässt sich Zeit, erzählt in „Gedenken“ das Schicksal Dahjs und wendet sich in der kommenen Folge dem Schicksal der Schwester zu. Diese entspannte Haltung ist souverän und hätte vielleicht auch dem ruhigen, melancholischen und durch das Interview und seine Informationen gleichzeitig überfrachteten Start der Pilotfolge gut getan.
Natürlich sind einige Aspekte dieser „Star Trek“-Zukunft etwas verstörend. Zunächst erscheint es unglaubwürdig, dass die Föderation so einfach von ihren Werten abzubringen ist. Anders als in „Discovery“ – wo der Versuch der Föderation, Q’onos in die Luft zu jagen bereits nicht besonders pfiffig war – ist die Föderation in „Picard“ ein noch gefestigterer Block. Außerdem wirkt die Entscheidung, jedwedes synthetisches Leben nach dem Angriff einiger amoklaufender Androiden, ausgesprochen simpel. Es ist zudem irritierend, dass keiner der Protagonisten die Motivation der Angreifer erwähnt bzw. überhaupt die Frage stellt, warum diese Motivation nach mehr als einem Jahrzehnt noch immer nicht erforscht ist. Wurden alle Androiden vernichtet oder sind die Androiden so plötzlich geflohen, dass man keine Informationen mehr erlangen konnte? Und zuletzt ist die Verbindung zwischen den überlebenden Romulanern und den alles Leben in (synthetische und) fremdgesteuerte Drohnen umwandelnde Borg doch etwas zu brachial: Wer möchte denn freiwillig in einem funktionalen Borg-Kubus hausen?
All diese Fragen betreffen aber den Hintergrund der Serie und sind Teil von noch nicht geklärten Fragen. Die eigentliche Handlung, der Konflikt zwischen verstecktem synthetischen Leben, Bürgerrechten und romulanischen Interessen ist spannend und enthält viele interessante Themen. „Gedenken“ legt mit teils noch etwas ungelenk agierenden Protagonisten einen gelungenen und vielversprechenden Auftakt, auf dem Jean-Luc Picard einen überzeugenden Kreuzzug für die Werte der Föderation aufbauen kann. Damit fasziniert die Pilotfolge den Zuschauer, unterhält ihn mit einer spannenden Agentengeschichte, verstört durch Dahjs frühen Tod und lässt mit vielen interessanten Fragen die Wartezeit auf die zweite Folge sehr lang erscheinen