Chapter 5: Disruption and Continuity [excerpted] (von Malka Older) & It was a Saturday Night, I Guess That Makes it All Right (von Sam J. Miller)
|Die beiden Kurzgeschichten sind Teil der Anthologie „A People’s Future of the United States“, die 2019 im „One World“-Verlag erschienen und von Victor LaValle und John Joseph Adams herausgegeben wurde. Die Anthologie schickt sich an, in einer Mischung aus lichten und dunklen Themen Utopien und Dystopien miteinander zu verbinden und Charaktere, die zwar an ihrer jeweiligen Gegenwart verzweifeln, dabei jedoch nicht aufgeben, sondern für eine bessere Welt kämpfen, in den Mittelpunkt zu stellen.
„Chapter 5: Disruption and Continuity [excerpted]“ von Malka Older ist ein fiktiver akademischer Text einer Disziplin, die es noch gar nicht gibt. Es handelt sich um einen Ausschnitt eines Werks der Zukunftsgeschichte (future history), indem die Autorin über verschiedene Akteure der Zukunft spricht, den Kenntnisstand der Forschung referiert und die verschiedenen Entwicklungen, die diese Akteure anstoßen werden, skizziert. Dabei zeigt sich, dass die USA in ihrer derzeitigen Form nicht weiter existieren werden, dass aber Gruppen von Individuen, in der Regel einst ausgegrenzte Menschen, daran arbeiten werden, dass Demokratie, Föderalismus und vor allem Inklusion und Umweltschutz in veränderter Form weiter existieren bzw. stärker verfolgt werden.
Die Kurzgeschichte entbehrt durch ihre Form einer Handlung. In mal kürzeren, mal längeren Absätzen erhält man zunächst einen Einblick in die Sprache der Zukunftsgeschichte. Hier wird abwechselnd in der Vergangenheit und der Zukunft von Ereignissen gesprochen, die noch gar nicht stattgefunden haben. Das liest sich wie informierte Spekulation über Ereignisse, die viele hundert Jahre zurückliegen und bei denen die Quellenlage einigermaßen dürftig ist. Dieser Ansatz ist recht interessant, schließlich stellt Older damit die Frage in den Mittelpunkt, ob über die Zukunft zu spekulieren wirklich so viel anders ist als über die tiefe Vergangenheit (ohne Quellenbasis) zu schreiben. Leider verfolgt die Kurzgeschichte kein konkretes Thema. In erster Linie steht eine zukünftige Aktivistin (oder ein Aktivist) mit der Kennzeichnung @zengo im Mittelpunkt, von der eine Reihe innovativer Impulse ausgehen. Die Zukunft, so diese Kurzgeschichte, wird zu einem großen Teil von Geschichtenerzählern und der Fantasie zukünftiger Bürger beeinflusst. Spiele, Erzählungen und vor allem Gemeinschaften haben daher einen großen Einfluss darauf. Diese Ode an die Kraft der Gemeinschaft sowie der Fantasie ist nett zu lesen. Allerdings hätte sie die wissenschaftliche Sprache weniger gebraucht, als entweder einen konkreteren Fokus oder eine Art von Erzählbogen. Dieser Entwurf des fünften Kapitels liest sich daher wie ein Pamphlet ohne konkrete Botschaft.
„It was Saturday Night, I Guess that Makes It All Right“ von Sam J. Miller präsentiert einen dystopischen Einblick in eine von Überwachung gekennzeichnete zukünftige Welt. Die meisten Staaten scheinen zusammengebrochen zu sein, private Sicherheitsfirmen sowie Moralmilizen haben die Kontrolle übernommen und die Arbeitslosigkeit grassiert in größen Städten. Caul arbeitet mit seinem Kollegen Sid für eine der Sicherheitsfirmen und installiert Beobachtungstechnologie. Caul ist schwul, muss dies allerdings aufgrund der Moralmilizen verheimlichen. Während der Arbeit entwickelt er eine Schwärmerei für Sid und flüchtet vor dieser zu den geheimen Treffpunkten schwuler Männer in Albany. Dabei hat er immer wieder entrückte, sexuelle Phasen, die ihm neue Perspektiven aufzeigen, die ihn aber auch unvorsichtig werden. Sid arbeitet derweil mit dem örtlichen Widerstand zusammen. Gemeinsam entschließen sie sich nach einer gemeinsamen Nacht, ihre Arbeit in Albany nicht ganz zu beenden, sondern in die nächste Stadt weiterzuziehen. Sie arbeiten dabei für die Feinde der Freiheit und tragen dennoch die Saat der Rebellion in die Welt.
Millers Kurzgeschichte ist atmosphärisch stark. Sid und Caul arbeiten für eine Organisation, deren Ziele sie nicht nur teilen, sondern die sie beide als den Grund für ihre eigene Unfreiheit sowie die ihrer Mitbürger ansehen. Dennoch gehen sie ihrer Arbeit nach, da die Alternative die drückende, überall grassierende Arbeitslosigkeit wäre. Diese Art der Selbstversklavung wird erst am Ende thematisiert, trägt aber von Beginn an zu der drückenden Atmosphäre bei. Es gibt schließlich auch heute zahlreiche Menschen wie Caul, die für eine Sache arbeiten, die ihr eigenes Leben weniger lebenswert macht. In Millers Zukunftsversion geht der Zusammenbruch des Staates nicht nur mit einer verstärkten Überwachung einher, sondern auch einer puritanischen, brutal durchgesetzten Sexualmoral, die Cauls Sexualität lebensgefährlich macht. An diesem Punkt wird Millers Kurzgeschichte etwas phantastisch, denn Caul gelingt es in seinen geheimen Treffen, durch seine Orgasmen in eine andere Welt vorzudringen, durch die er die Realität in begrenztem Ausmaß verändern kann. Diese phantastischen Elemente hätte es gar nicht gebraucht. Denn die beiden Monteure, die ihrer Arbeit nachgehen und dennoch in einem Übwachungsregime, dessen Kameras sie anbringen, immer wieder Räume der Freiheit entdecken, die sie für ihren aktiven oder passiven Widerstand nutzen, ist sehr eindringlich. Egal wie hart die konservative Revolution wird, sie wird nie ganz erfolgreich sein. Die von ihr anvisierten „Anderen“, die unterdrückten Gewerkschafter, die Freiheitsliebenden werden auch unter einem eigenartigen Mix aus totaler Überwachung und brutaler Milizenmoralanarchie ihre Lücken finden. Das zeigt Miller hier auf sehr spannende Weise durch Cauls zunehemende Unvorsicht und dem dadurch steigenden Risiko, entweder von der Sicherheitsfirma oder Milizen ins Visier genommen zu werden. Durch Cauls abgeklärt und gleichzeitig sehnsüchtige Gefühlswelt wirkt „It was Saturday Night, I Guess that Makes it All Right“ eben nicht nur spannend, sondern auch einfühlsam.