Systemausfall (von Martha Wells)
|Killerbot ist eine aus geklonten menschlichen Organen hergestellte, robotische Sicherheitseinheit. Nach einem Unglück, das durch ein fehlerhaftes Chefmodul ausgelöst wurde und viele Menschen das Leben gekostet hat, hat Killerbot seine Programmierung gehackt und sich seinen (martialischen) Namen gegeben. Nun ist er nicht gezwungen, die Befehle seines Chefmoduls auszuführen. Das muss aber unbemerkt bleiben, da er ansonsten verschrottet wird. Und so nimmt er weiterhin Aufträge an, obwohl er am liebsten ununterbrochen Serien schauen würde. Derzeit sichert er eine Forschungsmission auf einen bisher nur unzureichend erkundeten Planeten. Eigentlich sollte hier keine Gefahr drohen. Doch dann tauchen auf einmal riesige Tiere auf, die großen Hunger auf Menschen haben. Und die von den Auftraggebern gelieferten Karten stimmen nicht mit der Realität überein. Und eine andere Mission wird komplett ermordet. Und irgendetwas stimmt überhaupt nicht. Für Killlerbot ist aber nicht klar, ob der Planet und die Mörder oder die Menschen, mit denen er zusammenarbeitet und die ihn näher kennenlernen möchten, das größere Problem sind.
„All Systems Red“ lebt von seiner ausgesprochen interessanten Perspektive. Killerbot besteht zwar aus menschlichen Teilen, ist letztlich aber ein Roboter und muss seiner Programmierung folgen. Die basiert jedoch nicht auf Autonomie im Rahmen der asimovschen Robotergesetze, sondern folgt einem Chefmodul, dass die Wünsche und Anordnungen seines Umfelds in unumkehrbare Befehle umsetzt. Da dieses Chefmodul Killerbot zum Mörder gemacht hat, hat er es umgangen. Denkt man zunächst, dass Killerbot sich aufgrund eines Freiheitswunsch von seinem Chefmodul befreit hat, erfährt man im Verlauf der Erzählung die tragischen Hintergründe hinter dieser Geschichte. Im Laufe der Novelle entsteht durch Killerbots Perspektive ein vielschichtiges Bild des Charakters. Killerbot hat mit der Freiheit eigene Wünsche entwickelt. Die sind relativ profan, ginge es nach ihm, würd Killerbot den ganzen Tag Serien gucken. Dieser Wunsch hält die Sicherheitseinheit jedoch nicht davon ab, seine ebenfalls weiter entwickelten Moralvorstellungen zu folgen. Es ist für ihn weiterhin selbstverständlich Menschen zu helfen und für eine (in seinen Augen) gerechte Sache einzutreten. Zunächst wirkt es so, als täte er dies in erster Linie um seinen Chefmodulhack zu verbergen. Doch auch als diese Tat ans Licht kommt, steht er den Menschen, die er verteidigen soll, weiterhin zur Seite.
Das ist vor allem deswegen interessant, weil Killerbot mit Menschen eigentlich relativ wenig anfangen kann. Zu Beginn seines Auftrags wird er, der immer nur in kompletter Ausrüstung mit verdunkeltem Helm an die Öffentlichkeit tritt, von seinen Mitmenschen wie ein Gerät behandelt. Erst als er einigen Missionsteilnehmern erstmals das Leben rettet und dabei sein (menschlich wirkendes) Gesicht präsentiert, ändert sich das. Killerbot beschreibt, dass er sich Menschen gegenüber nicht öffnen möchte. Tatsächlich merkt man in der Beschreibung aber vor allem eine tiefe Furcht davor, mit Menschen auf einer emotionalen Ebene zu interagieren. Die Notsituation zwingt Killerbot jedoch dazu, auf engem Raum mit seinem menschlichen Team zusammenzuarbeiten. Wells gelingt es dabei sehr gut und subtil zu schildern, wie Killerbot langsam aber sicher die Emotionen seiner Kollegen zu lesen lernt und sogar zu beantworten weiß. Dieser Prozess wird nie explizit thematisiert, ist aber auf interessante Art immer im Hintergrund präsent.
Die Reaktion der Missionsteilnehmer auf Killerbot ist ebenfalls sehr gelungen inszeniert. Killerbot wandelt sich in ihren Augen von einem Ding zu einem Kollegen. Das liegt zu einem Teil daran, dass einige Wissenschaftler Killerbot ihr Leben verdanken. Andere sind von seinem zu Emotionen fähigenden Gesicht beeindruckt. Das Team ist sich aber nicht sicher, wie sie mit ihren neuen Gefühlen gegenüber Killerbot umgehen sollen. Einige möchten ihn geradezu dazu zwingen, sich an den Freizeitaktivitäten der Menschen zu beteiligen. Andere sind der Meinung, dass es Killerbots freie Entscheidung sei, wo er mitmacht und wo nicht. Diese Unsicherheit, die der Killerbots mindestens gleicht, führt zu einigen sehr aufschlussreichen Situationen vor und nach brenzligen Situationen. Man kann sich leicht in den von Wels knapp gezeichneten menschlichen Protagonisten wiederfinden.
Nicht ganz so überzeugend sind die Gegner. Es handelt sich dabei um brutal mordende Vertreter einer konkurrierenden Firma, die den Planeten ausbeuten möchten. Ihre Motivation wird zwar im Laufe der Novelle erklärt, warum sie dafür aber so brutale Mittel einsetzen, und damit ja eine horrende Strafe riskieren, wird nicht enthüllt. Auch ist der genaue Profit, den sie durch die Gewalt erzielen, nicht ganz klar. Während Killerbot und die ihn umgebenden Wissenschaftler detailliert skizziert sind, bleiben die Gegner blass und stereotyp. Dafür sorgt die gegnerische Fraktion für einige spannende Feuergefechte, einen pfiffigen Plan Killerbots, um aus der Lebensgefahr zu fliehen, und für die notwendige Krise, in der sich Killerbot weiterentwickeln kann. Letztlich ist „Systemausfall“ schließlich die faszinierende und sehr gelungene Beschreibung, wie ein Roboter unter ständiger Lebensgefahr mit plötzlicher Freiheit umgeht und dabei lernt, Gefühle, persönliche Ziele und vor allem freundschaftliche Beziehungen zu entwickeln. In anderen Worten erlebt man hier wie Killerbot damit umgeht, dass er auf einmal Entscheidungen für sich und sein Umfeld treffen muss, über die Menschen kaum bewusst nachdenken, aber vielleicht bewusst nachdenken sollten.
(Während ich normalerweise versuche Originalausgaben zu rezensieren, basiert dieser Kommentar auf der deutschen Ausgabe von „All Systems Red“, die unter dem Titel „Systemausfall“ in dem Sammelband „Tagebuch eines Killerbots“ im Heyne-Verlag erschienen ist. Ich erwähne dies an dieser Stelle, da der Sammelband die ersten vier Novellen der „Murderbots“-Serie für derzeit 12,99€ (Ebook-Version) enthält, während mit Ausnahme der ersten Novelle alle weiteren Novellen in der englischen Originalausgabe einzeln jeweils zwischen 8 und 11€ kosten. Die Ersparnis beim Erwerb des deutschen Sammelbands ist also ausgesprochen hoch.)