The Court Magician (von Sarah Pinsker)
|Die Diener des Regenten werden auf einen äußerst wissbegierigen Straßenmagier aufmerksam. Sie wecken sein Interesse daran, richtige Magie zu verstehen. Er willigt ein und wird nach intensivem Training Hofmagier des Regenten. Als solcher hat er die Aufgabe, für den Regenten unliebsame Menschen und Dinge verschwinden zu lassen. Diesen einen Spruch meistert der Magier zur Perfektion, muss ihn jedoch jedesmal mit einem Körperteil, einer Erinnerung oder einem Gegenstand, der ihm lieb und teuer ist bezahlen. Doch sein Wunsch, dies zu verstehen, lässt ihn immer weiter machen. Erst als ihm der letzte Gegenstand genommen wurde, beginnt er nicht mehr nach dem Wie, sondern nach dem Warum zu fragen. Daraufhin verlässt er, stark verkrüppelt und der meisten Erinnerungen beraubt den Hof und zieht fort.
Auf engem Raum erzählt Pinsker die gesamte Lebens- und Leidengeschichte des jungen Magiers der in den Dienst des Hofes gerät. Dabei wird in wenigen Sätzen eine Welt geschaffen, in denen sowohl Zaubertricks als auch echte Magie nebeneinander existieren. Das Anwenden der Magie gelingt jedoch nur mit hohen Kosten für den Zauberer. Wer tut sich so etwas an? Der Regent und seine Mitstreiter haben erkannt, dass es junge, wissbegierige Leute braucht, die Vorgänger lieber verstehen anstatt selbst Macht auszuüben. Diesen Wissensdrang beuten sie brutal aus. Der junge Zauberer geht diesem System in die Falle und wird dadurch zu einem Komplizen. Denn niemand weiß, wohin die verzauberten Menschen verschwinden, welches Schicksal sie erwartet. Die düstere Seite des Wissendrangs, die sich nicht darum kümmert, die Folgen der Erkenntnisse abzuschätzen, ist sehr gut in Szene gesetzt.
Noch brutaler als das Verschwinden von Menschen ist jedoch die Kaltblütigkeit des Regenten. Die Befehle an den Magier werden nicht einmal erklärt. Teilweise verliert der Zauberer Glieder für ausgesprochen nebensächliche Wünsche. Doch der Befehl des Machthabers wird befolgt und erschreckenderweise kaum hinterfragt. Das ist die zweite Dimension der Kurzgeschichte. Sie zeigt nicht nur auf, wie ein Mensch Komplize eines brutalen Systems werden kann, sie illustriert auch, wie Befehle, die sowohl brutal sind als auch ausgesprochen schädlich für den ausführenden Diener bzw. Untertanen, kaum hinterfragt werden. Die zweite Hälfte der Kurzgeschichte konzentriert sich darauf, wie der Magier doch zu einem Punkt gelangt, an dem er das System und dessen Befehle hinterfragt und letztlich auch hinter sich lässt. Dabei ist es am Ende eine Nebensächlichkeit, ein eigentlich unwichtiger Gegenstand, der den Magier zur Aufgabe bewegt. Das ist eine gute Idee, die zeigt wie willkürlich der Prozess des Hinterfragens sein kann.
Die Kurzgeschichte zeigt dem Protagonisten keine Möglichkeit auf, das System zu Fall zu bringen oder zu verändern. Denn seine Aufgabe ist von vornherein geplant, die Diener des Regenten haben bereits neue Kandidaten rekrutiert. Außerdem ist ihnen bewusst, dass die verschlissenen Magier entweder ins Exil gehen, sich mit billigen Tricks auf der Straße weiterverdingen, neue Rekruten anlocken oder gar sich öffentlich beschweren – im letzteren Fall wird ihr Nachfolger sie verschwinden lassen. Ein Einzelner kann das System daher gar nicht zufall bringen, denn es strömen immer neue, willige Kandidaten nach, die zudem von skrupellosen Menschen, denen die Ausbeutung bewusst ist, angeworben werden. Dadurch zieht die Kurzgeschichte nicht nur Paralellen zu ausbeuterischen politischen System, sondern auch zu ökonomischer Ausbeutung in manchen Branchen.
Neben diesen drei interessanten Fragen, wie werden wohlmeinende Menschen Komplizen eines brutalen Systems, wann beginnen sie Widerstand zu leisten und welche Art Widerstand können Einzelne überhaupt leisten, besticht die Geschichte mit ihrer Form. Der Erzähler ist ein weiteres, viel mehr wissendes Mitglied des Hofes. Sein Ton schwankt zwischen märchenhaft und abgeklärt kühl. Und gerade wegen dieser Kühle leidet man mit dem Hofmagier mit. Die daraus entstehende Spannung verstärkt die Wirkung der Gedanken über das Verhältnis zwischen Wissendrang und Macht.
Die Kurzgeschichte „The Court Magician“ von Sarah Pinsker ist 2018 im „Lightspeed“-Magazine erschienen. Sie ist für den Hugo Award 2019 in der Kategorie „Best Short Story“ nominiert.