Life of a European Mandarin (von Derk-Jan Eppink)
|Derk-Jan Eppink hat im Kabinett zweier europäischer Kommissare gearbeitet. In „Life of a European Mandarin“ fasst er seine Erfahrungen zusammen. Er nutzt für die Europäische Union bzw. für Europa die Metapher einer Prinzessin, die fragil ist und doch von allen verehrt wird. An ihrem Hof (sprich: der Europäischen Kommission) finden sich viele Diener aus dem ganzen Kontinent ein, die Eppink aufgrund ihrer unterschiedlichen Sprachen und Herkunft als „Mandarins“ bezeichnet. Eppink war für viele Jahre solch ein Diener und verspricht einen einsichtsreichen und gleichzeitigen Unterhaltsamen Rückblick auf seine Arbeit in Europas mächtigster Behörde.
Eppink verfasst seine Erinnerungen in einem äußerst unterhaltsamen, ironischen Ton. Bereits die ersten Kapiteln, in denen er unter anderem seine ersten Erfahrungen mit der EU in Form eines Interviews mit Ex-Kommissionspräsident Delors und als Praktikant schildert, sprühen vor dichten Beschreibungen und witzigen Situationen. Eppink gelingt es dadurch, das bürokratische Ringen um europäische Lösungen 400 Seiten lang unterhaltsam wirken zu lassen.
Dabei geht jedoch häufig unter, dass Eppink weder eine Komödie verfasst noch einen neutralen Bericht über die Kommission (mit Witzen). Stattdessen schreibt Eppink von einer klaren Position aus, die aber heute – mehr als zehn Jahre nach der Erstveröffentlichung – selten geworden ist. Eppink ist ein pro-Europäer, vor allem weil er wirtschaftspolitisch äußerst liberal ist. Gleichzeitig vertritt er aber sozial- und teilweise auch gesellschaftspolitisch deutlich rechtere Positionen. In Deutschland herrscht in seinen Augen eine unheilige Allianz aus Gewerkschaften, Staat und Industrie (das Buch wurde vor der Wirtschaftskrise 2008/2009 verfasst, in der dies Allianz viele Auswirkungen abgefedert hat). Gleichzeitig ist das Buch durchzogen mit deutlichem Unbehagen gegenüber Zuwanderung aus außereuropäischen Staaten in europäische Mitgliedsländer. Und insgesamt erscheinen in seinen politischen Beschreibungen wenige Protagonisten außer er selbst und sein Kommissar (und auch das nur eingeschränkt) in positivem Licht. Eppink spricht nie von seinem ideologischen Standpunkt. Der Leser muss sich dies sowie den Hintergrund (seines ebenfalls nicht direkt beschriebenen) Kommissars außerhalb des Buches nachschlagen, um Eppinks Heldengeschichte einordnen zu können.
Auf der anderen Seite erfährt man bei Eppinks Schilderungen viel über die Prozesse und vor allem die Ansichten innerhalb der Kommission sowie anderer europäischer Institutionen. Eppink beobachtet sehr genau, wie innerhalb eines europäischen Politikfeldes das Kabinett des Kommissars (die politische Ebene) oft mehr gegen das eigene Generaldirektorat (den Verwaltungsapparat) arbeitet als mit ihm. Er beschreibt wie die eigentlich zur Zusammenarbeit verdonnerten Kommissare gegeneinander agieren, wie nationale Allianzen geschlossen werden können und wie die Zusammenarbeit bzw. die Konkurrenz mit den Mitgliedsstaaten und dem Europäischen Parlament funktioniert. Dabei wählt er ausgesprochen anschauliche Beispiele und hebt immer wieder hervor, dass hinter den politischen Positionen vor allem die persönlichen Beziehungen funktionieren müssen. Wenn es z.B. nicht gelingt, verschiedene, einflussreiche Verbandsvorsitzende einzuhegen, dann können auch akribisch vorbereitete Projekte scheitern. Besonders gelungen ist die implizite Botschaft, dass in der Kommission selten das diskutiert wird, was diskutiert werden müsste. Die Gesetzesvorschläge des Kommissars für den Eppink arbeitete, die am meisten europaweite Entrüstung hervorgerufen haben, sind allesamt ohne Gegenstimmen durch den Kommissions- und häufig auch den Ratsprozess gegangen. Gestoppt wurden sie in späteren Stadien nach öffentlicher Entrüstung.
Trotz seiner ideologischen Färbung, bietet Eppink daher einen anschaulichen, lehrreichen und gleichzeitig ironisch-unterhaltsamen Einblick in die Arbeitsprozesse der europäischen Kommission. Er zeigt, dass das idealistische Europa der Kommission vor allem eine langwierige Auseinandersetzung bürokratischer Machtspielchen ist, die im Anschluss um politische Machtspiele ergänzt werden. Dabei unterstreicht er immer wieder wie wichtig die Arbeit der Kommission ist und macht durch Vergleiche mit nationalen Prozessen deutlich, dass in der Politik wie der Verwaltung diese Art der Auseinandersetzung der Normalfall ist. „Life of a European Mandarin“ schafft daher bei aller Ironie Verständnis für europäische Prozesse. Das Buch verdeutlicht auf der einen Seite anschaulich, dass die Kommission auf der einen Seite keineswegs von „oben herab“ aus „dem fernen Brüssel“ autokratisch über den Kontinent herrscht, dafür sind viel zu viele (auch nationale) Akteure involviert. Auf der anderen Seite zeigt es aber auch, dass der hektische Brüsseler Politikbetrieb kein gutes Gespür dafür hat, welche Themen kontrovers diskutiert werden müssen und welche tatsächlich technische und daher einfach abzuhakende Entscheidungen sind.