The Left Hand of Darkness (von Ursula K. Le Guin)
|Genly Ai ist ein Gesandter der Ekumen. Diese interstellare Regierung koordiniert Mitgliedsplaneten anstatt sie zu beherrschen. Ais Mission ist es, die Bewohner des Planeten Gethen davon zu überzeugen, der Ekumen beizutreten. Die Bewohner Gethens leben inmitten einer ausgeprägten Eiszeit. Sie sind außerdem bis auf wenige Tage im Monat geschlechtslos. Vor allem aber haben sie nationale Konzepte noch nicht entwickelt und haben daher Schwierigkeiten, ihre kleinen Gemeinschaften mit unzähligen Palastintrigen in einer größeren (und mächtigeren) Gemeinschaft zu sehen. Ais Mission ist heikel, er muss verschiedene Intrigen umgehen und dabei auch die eigene Sicherheit im Blick haben.
„The Left Hand of Darkness“ beginnt langsam: Der Roman ist in einigen Kapiteln als Bericht Ais aufgebaut, in anderen werden Sagen aus der Vergangenheit des Planeten Gethens beschrieben und in wieder anderen Kapiteln kommt der Chefintrigant und spätere Verbündete Ais, Estraven, zu wort. Dies baut Stück für Stück eine interessante Gesellschaft und Kultur auf. Le Guin gelingt es gut, in kleinen Nebensätzen, sowohl die Abwesenheit patriotischer Konzepte (mit einigen Ausnahmen) als auch die ungewöhnlichen Paarungsvorgänge auf Gethen zu beschreiben. Auf dieselbe Art wird die hier etwas mysteriös erscheinende Ekumen eingeführt. Da Ai bereits einige Jahre auf Gethen weilt, besteht vieles in der ersten Hälfte aus Rückblicken auf die Vergangenheit und dabei vor allem auf die Dinge, die Ai bereits bei seinen erfolglosen Versuchen, mit dem Herrschenden einer der Gemeinschaften auf Gethen in Kontakt zu kommen, gelernt hat. Das trägt zwar wenig zum Erzähltempo bei, schafft aber eine faszinierende Kulisse.
Ai hat große Schwierigkeiten, sich in die Verhaltensweisen der Bewohner Gethens hineinzudenken. Das liegt nicht nur daran, dass er durch sein permanentes Geschlecht als „Perversling“ eingestuft wird. So richtig wird er aus den Sorgen und Intrigen der Höflinge nicht schlau. Auf diese Weise entgeht ihm stets, wenn seine Gunst beim jeweiligen Herrscher wieder einmal sinkt. Zur Seite steht ihm zunächst der mächtige Estraven. Bereits früh im Roman erkennt Ai, dass Estraven keineswegs für ihn gearbeitet hat, sondern ihm gar aktiv den Zugang zum Herrscher verbaut hat. Die Palastintrigen sind vielleicht der schwächste Teil des Romans. Estraven ist als Figur interessant, alle anderen Höflinge und Herrscher bleiben Stereotypen.
Der Kern des Romans ist sowieso die zweite Hälfte. Estravens Stern ist gesunken, er befindet sich im Exil. Dort hält sich auch Ai auf, der an anderer Stelle hofft, Verbündete für die Ekumen zu finden. Estraven durchschaut schnell, dass Ai wieder einmal in Lebensgefahr ist. Anders als in seiner offiziellen Funktion entscheidet er sich diesmal, Ai zu helfen. Auf der Flucht vor Ais Widersachern müssen sie mitten im Winter eine Eiswüste durchqueren. Hier wird der Roman besonders stark. Auf sich allein gestellt, kommen sich die zwei Vertreter unterschiedlicher menschlicher Völker näher. Estraven lernt von Ai, telepathisch zu kommunizieren. Und Ai lernt viel über die Gesellschaft Gethens. Beide reflektieren, wie sie zueinander stehen und über die Zeit entwickelt sich Freundschaft und gar so etwas wie Liebe. Die aufkommende Romanze endet tragisch. Für den Leser ergeben sich durch viele Szenen interessante Gedankengänge. Ai versucht zum Beispiel, Estraven über das Konzept „Frau“ aufzuklären. Dies gelingt ihm mehr schlecht als recht und lädt zu interessanten Gedankengänge über die Rolle der Frau Ende der 60er-Jahre (als der Roman entstand) und heute.
In der Konfrontation zwischen einer der unsrigen Gesellschaft nachempfundenen interstellaren Gemeinschaft und den abgeschiedenen Bewohnern Gethens wird die Frage immer deutlicher, was Fortschritt eigentlich bedeutet und welche Bereiche der Gesellschaft vom Fortschritt ausgenommen sind. Indem eine geschlechtlose Gesellschaft denkbar ist, in der jede Form der Ungleichheit zwischen Menschen aufgrund ihrer Sexualität bzw. ihres Geschlechts Stirnrunzeln hervorhebt (die aber natürlich nicht davor zurückschreckt, Verräter hart und grausam zu bestrafen), hinterfragt „The Left Hand of Darkness“ mithilfe des lebhaften, dichten und vor allem im ewigen Eis Berichts Ais, was in einer Gesellschaft als gegeben akzeptiert werden muss und was verändert werden kann.