Eine Milliarde Jahre vor dem Weltuntergang (von Arkadi & Boris Strugatzki)
|Es ist ein heißer Tag in Leningrad und dennoch steht der Astrophysiker Maljanow kurz vor einem entscheidenden Durchbruch. Allerdings hindert ihn nicht nur die Hitze daran, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Ständig werden Anrufe fälschlicherweise zu seinem Anschluss weitergeleitet, Boten bringen nicht bestellte Pakete vorbei und dann kommt noch eine unbekannte Schulfreundin seiner Gattin zu Besuch. Alles kumuliert darin, dass Maljanow am Ende des Tages eines Mordes beschuldigt wird. Maljanow ist nicht nur darüber verwirrt: Mehrere seiner Forscherfreunde leiden darunter, dass ihnen merkwürdige Dinge geschehen. Jemand – oder etwas – hindert sie aktiv daran, ihrer Forschung nachzugehen.
„Eine Milliarde Jahre vor dem Weltuntergang“ ist eine mysteriöse Erzählung. Die Gruppe Wissenschaftler ist mit einem unerklärlichen Phänomen konfrontiert. Für die Wissenschaftler ist es unmöglich, nicht umgehend Theorien für die Ursache ihrer Hindernisse zu entwerfen. Von einer Verschwörung heimlicher Eliten bis hin zu einer außerirdischen Superzivilisation, die sich vor einer weiterentwickelten Menschheit fürchtet, werden die waghalsigsten Überlegungen plausibel verpackt vorgebracht. Mit jeder neuen Wendung, die die Drangsalierung der Einzelnen einschlägt, werden die Theorien waghalsiger und die Stimmung hysterischer beziehungsweise paranoider. Wie kann man in den merkwürdigen Ereignissen einen Sinn finden? Haben ausländische Agenten, böse Eliten oder Außerirdische ein Interesse daran, die Forschung zu verhindern?
Für den Roman steht die Aufklärung dieser Fragen nicht im Vordergrund. Stattdessen dreht er sich um die Frage, wie sich Menschen unter Druck verhalten. In jeder Gesellschaft gibt es Druck auf Wissenschaftler, für bestimmte Zwecke zu forschen. „Eine Milliarde Jahre vor dem Weltuntergang“ ist zu Sowjetzeiten, in den 70er Jahren, entstanden. Er atmet daher die paranoide Stimmung der Sowjetunion unter Breschnew. An einigen Stellen scheint der Roman (laut einem Nachwort Boris Strugatzkis) Elemente eines Schlüsselromans aufzuweisen, die für mit der politischen Situation der Sowjetunion in den 70ern nicht vertrauten Lesern nur schwer zu identifizieren sind. Trotz dieses Kontexts erscheint der Roman ausgesprochen aktuell: Sowohl der Druck auf die Wissenschaft als auch die sich im Umlauf befindenden Verschwörungstheorien scheinen heutzutage wieder auf dem Vormarsch zu sein. „Eine Milliarde Jahre vor dem Weltuntergang“ verbindet beide Elemente zu einem beklemmenden, atmosphärisch starken Kammerspiel.
Am Ende stehen alle Wissenschaftler vor der Frage, ob sie aufgeben sollen oder nicht. Im ersten Fall können sie sich zu ihren Familien zurückziehen und harmloseren Tätigkeiten nachgehen. Letzteres würde automatisch bedeuten, dass sie sich selbst aus der Gesellschaft entfernen und abseits der Stadt forschen müssen, um Freunde, Familie und letztlich sich selbst zu schützen. Die Motive hinter dieser Entscheidung werden emotional kaum begründet. Das ist sehr gelungen, denn dadurch vermeiden die Strugatzkis rührselige Szenen, in denen sich die Handlung in übergroßem Moralismus verwirren könnte. Stattdessen bleiben die Protagonisten des dünnen Werkes auf die Emotionen Verwirrung und Verzweiflung beschränkt. Der Leser erlebt dadurch, ohne lange Erklärungen mit, wie wilde Theorien entwickelt werden, nur um vom eigentlichen Dilemma abzulenken: Der Wunsch, mit der eigenen Arbeit im Einklang in der menschlichen Gesellschaft leben zu können, wir hier keinem erfüllt. Das ist gerade wegen des schlichten Aufbaus beklemmend und dadurch ein Plädoyer für die Bedeutung der Freiheit in der Verpackung der Ausweglosigkeit.