Planet Lion (von Catherynne M. Valente)
|Im Alaraph-System entdeckt die Menschheit einen bewohnbaren Planeten, auf dem lediglich eine Löwenspezies heimisch ist. Obwohl die Katzentiere aggressiv auf Menschen reagieren und ihre Intelligenz nicht gänzlich überprüft wurde, entscheidet sich das Oberkommando für erste Siedlungsbemühungen. Denn der Planet Bakeneko hat eine strategische Bedeutung in dem Krieg, den die Menschheit gerade führt. In diesem Konflikt werden alles andere als konventionelle Waffen eingesetzt, was für die Löwen des Planeten ungeahnte Folgen hat.
„Planet Lion“ beschreibt eine Kolonisation mit fatalen Konsequenzen. Während Wissenschaftler mahnen, die Population des Planeten zuerst zu erforschen, setzen sich Militärs mit sofortiger Besiedlung durch. Die Stationen der Menschen dienen jedoch nicht der Erschließung neuer Wohngegenden, sondern haben rein strategische Bedeutung. Was in der Vorbereitung auf die Vernichtung des Gegners nicht sofort auffällt, ist die Intelligenz der Löwen.
Deren Bewusstsein unterscheidet sich stark von dem menschlichen. Zwar sind die Löwen zu komplexen Gedankengängen in der Lage und können diese auch ausdrücken. Doch sie identifizieren sich nicht in erster Linie mit sich selbst, sondern mit ihrem letzten Opfer. Stück für Stück gelangen so menschliche Konzepte in die telepathische Kommunikation der Löwen. Zudem kontrolliert jedes Bewusstsein scheinbar mehrere Tausend Löwenkörper. Sowohl Konflikte als auch Neuerungen wie Hausbauten eskalieren dadurch schnell.
Die Darstellung der fremdartigen Gedankenwelt der Löwen gelingt Valente in der Kurzgeschichte ausgesprochen gut. Die immer aus der Sicht desselben Löwen-Bewusstseins geschilderten, Stück für Stück eskalierenden Konflikte sind sehr fesselnd. Interessanterweise ist es nicht das Konzept des Krieges, das die Löwen gegeneinander aufhetzt, sondern gescheiterte Liebesbeziehungen. In dem Moment, in denen zwei Opfer in früheren Beziehungen Kämpfe durchlebt haben, beginnen die Löwen sich ebenfalls zu streiten. Aber anders als bei menschlichen Auseinandersetzungen sind die Löwenkrallen in der Regel tödlich. Die blutigen, von Menschen verursachten Auseinandersetzungen sind genau so überzeugend wie die telepathische Kommunikation der Löwen.
Die Entwicklung wird durch die Strahlung verschiedener von den Menschen eingesetzter Waffen noch verstärkt. Die Menschen beobachten fasziniert wie sich die Löwen explosionsartig in menschliche Strukturen organisieren und entscheiden sich am Ende dazu, den Planeten zu verlassen. Die menschliche Sicht der Ereignisse ist in nüchtern gehaltenen Logbucheinträgen dargestellt. Hier bricht sich allenfalls Ärger über abwägende Wissenschaftler seinen Bann, ansonsten steht alles im Zeichen des Kriegsgewinns. Verantwortung für die Löwen spürt am Ende keiner der Entscheidungsträger: Als Kolonie hat der Planet seinen Zweck erfüllt, mit den gesellschaftlichen Veränderungen müssen die Löwen selbst klar kommen. Die Kurzgeschichte ist damit nicht nur eine Warnung vor den unvorhergesehenen Auswirkungen menschlichen Kolonisierungsdrangs, sondern auch eine pessimistische Einschätzung der menschlichen Fähigkeit aus Fehlern zu lernen.
Die Kurzgeschichte „Planet Lion“ ist 2015 in der Online-Zeitschrift „Uncanny Magazine“ erschienen. Sie ist außerdem ein Beitrag in der Anthologie „The Best American Science Fiction and Fantasy 2016“, herausgegeben von Karen Joy Fowler und John Joseph Adam.