Gedankensplitter 28/2016
|Kultur und Sexualstrafrecht: In der vergangenen Woche hat der Bundestag einstimmig das Sexualstrafrecht verschärft. Grundsätze (wie Nein bedeutet Nein) sind nun verrechtlicht. Bedenken ruft hervor, dass eine aus einer Gruppe heraus verübten Tat nun genau so wie die Tat selbst bestraft werden könnte. Hier wird eine Auslegung im Zweifelsfall schwierig sein und stark davon abhängen was „aus einer Gruppe heraus“ bedeutet und wie das von anderen Tatbeständen wie unterlassener Hilfe abzugrenzen ist. In dem Zusammenhang geht mir trotzdem eine Szene nicht aus dem Kopf, die ich vor einem Monat in einem Regionalzug in Nordrhein-Westfahlen erlebt habe. Fans eines Lokalvereins stiegen in den Zug, stark betrunken und fingen an zu singen. Angesichts des Alkoholkonsums war die Textsicherheit der jungen Männer beeindruckend. Zusammen grölten sie die meiste Zeit ein Lied, in dessen Handlung sie ein schlafendes Mädchen am See treffen, dessen Kleid etwas verrutscht ist. Davon motiviert fangen sie an es zu vergewaltigen (bzw. mit dem Mädchen zu schlafen), sodass es nach dem Erwachen nur feststellen kann „Du hast mich im Schlaf zur Mutter gemacht“. Es ist allein diese letzte Erkenntnis, die in dem Lied zu der Erkenntnis führt, dass man „schlafende Mädchen“ besser nicht „fickt“. Die abstoßende und unwürdige, im Lied aber sehr ausführlich beschriebene, Vergewaltigung ist also nur durch ihre Vaterschaftskonsequenzen abzulehnen. Dieses Mädchen hat nicht Nein sagen können, der neue Grundsatz hilft ihr nicht. Solche Lieder zeigen viel mehr, was für besorgniserregende Einstellungen durchaus noch verankert sind. Solche Einstellungen werden durch Gesetze nicht aufgehoben, hier müssen sich Politik und Gesellschaft mehr einfallen lassen.
Anmerkung: Im Hinblick auf solche Einstellungen könnten Regulierungen wie ein Verbot der Übersexualisierung von Frauen in der Werbung helfen. Bei diesen Debatten sind vor allem Parteien wie die CDU, die einst den Strafbestand der Vergewaltigung in der Ehe verhindern wollten und sich nun nach der Sylvesternacht von Köln als große Kämpfer für ein verschärftes Sexualstrafrecht hinstellen, schnell dabei dies als Überregulierung oder gar Eingriff in „unsere“ Freiheiten zu deuten.
Gewalt- und Waffenhorror: Die letzte Woche hat eine Vielzahl an gewalttätigen Horrorgeschichten in den USA produziert. Nicht nur wurden wieder unschuldige Menschen von der Polizei getötet, diesmal wurden auch unschuldige Polizisten Opfer von exzessiver Waffengewalt. Es ist kein Wunder, dass so etwas passiert angesichts einer aufgeheizten Stimmung und der Möglichkeit, sich auf einfachste Art Waffen zu besorgen. Die Nation reagiert angesichts der Polizistenmorde besonders schockiert. Denn dies sind Leute, die sich wehren können und vor allem, die die Gesellschaft eigentlich vor Waffenkriminalität schützen müssen. Doch auch sie sind der ausufernden Gewalt im Zweifel schutzlos ausgeliefert und können leicht zu Opfern werden. Auf diese Ereignisse muss eine Deeskalationsstrategie folgen, die schwarze und weiße, Arme und Reiche wieder näher zueinander bringt; die häufig real existierenden Mauern zwischen Vierteln einreißt und vor allem den Dialog zwischen verschiedenen Communities stärkt. Doch die ersten Reaktionen zeigen, dass die Ereignisse im Präsidentschaftswahlkampf und zwischen bornierten (Polizei-, Bürgerrechts- und vor allem Waffenlobby-)Verbänden zerrieben wird. Jeder weitere Schritt, der sich von einer Deeskalation entfernt, macht eine Lösung des Problems schwieriger und irgendwann unmöglich.
Anmerkung: Die schreckliche Ironie der Ereignisse ist, dass das Hauptargument von Waffenverbänden wie der NRA ist, Waffen machten eine Gesellschaft sicherer. Die Polizistenmorde von Dallas zeigen hingegen, dass Waffen selbst bewaffnete und vor allem an der Waffe ausgebildete Einsatzkräfte in Bredouille bringen kann. Vor dem Waffenüberschuss ist niemand sicher und das stete Mantra der NRA, es müssten nur mehr Menschen Waffen tragen, schützt niemanden vor einem Sniper. In dem Zusammenhang ist auch ein Artikel der der NRA vorwirft keineswegs für das recht schwarzer Menschen einzutreten, Waffen zu tragen. Schließlich wurden viele Erschießungen Unschuldiger durch Polizisten von Waffen ausgelöst und die sonst so lautstarke NRA hat dazu kein Wort verloren.
Inhaltsloses Kasperltheater?: Die AfD wird nicht langweilig. In der vergangenen Woche ist ein Streit über einen antisemitischen Abgeordneten eskaliert, die Fraktion in Baden-Württemberg hat sich gespalten. Eigentlich erscheint alles ganz einfach: Der Vertreter des liberaleren Parteiflügels und Parteichef Meuthen steht in einem Konflikt mit der „rechteren“ Parteichefin Petry. Doch ganz so einfach ist es nicht: Im Saarland bekämpft Frauke Petry einen in ihren Augen zu rechten Landesverband mit allen Mitteln, auch Björn Höcke verurteilt sie teilweise. Mit dem hat Parteichef Meuthen wiederum ein ganz hervorragendes Verhältnis. In der AfD tobt ein Machtkampf, der mit alten Standards wie rechts und links, gesellschaftlich liberal oder autoritär wenig zu tun hat. Hier geht es vermutlich um persönliche Ambitionen und persönliches Misstrauen (dass vor allem der ambitionierten Petry entgegen schlägt). Solch ein Machtkampf ist nicht vorhersehbar und kann chaotisch enden. In seiner Substanzlosigkeit erinnert er stark an das Verhalten, dass die AfD den angeblichen „Altparteien“ vorwirft: Auch in der AfD geht es hauptsächlich um Pöstchen.
Europäisches Parlamentsdilemma: Martin Schulz ist der vielleicht bekannteste Europäer Deutschlands, zu jedem europäischen Thema fliegt seine Meinung durch die Presse. Dieses Aushängeschild könnte bald verloren gehen: Seine Amtszeit als Präsident des Europäischen Parlaments endet Anfang des kommenden Jahres und die CDU möchte einen Konservativen als neuen Parlamentspräsidenten sehen. Das wurde 2014 so abgemacht und darauf pocht die Union. Kommissionspräsident Juncker unterstützt seinen Verbündeten Schulz bei seinen Bemühungen um eine so noch nie da gewesene dritte Amtszeit. Der Vorgang offenbart ein Dilemma: Schulz nützt der EU als populäres Aushängeschild. Er befindet sich aber auf einem prekären Posten: Parlamentspräsidenten sind eigentlich nur für das Funktionieren demokratischer Prozeduren im Parlament zuständig, halten sich aus der Tagespolitik heraus und geben allenfalls „kluge“ und häufig moralisierende Meinungen zur Funktionsweise des Gesamtsystems ab. Ein Beispiel dafür ist der Präsident des deutschen Bundestages Norbert Lammert. Schulz mischt sich aber in die Tagespolitik ein, ist meinungsstark und häufig auch parteiisch. Dabei sitzt er einer Institution vor, die eigentlich nicht mit einer Stimme sprechen sollte, sondern die pluralistischen Meinungen der europäischen Bevölkerung repräsentieren soll. Das ist demokratietheoretisch schwierig. Dieses Problem sollte in den kommenden Monaten, wenn die Diskussion um Martin Schulz Fahrt aufnimmt immer Bedacht werden. Vielleicht wäre es für die Demokratie in der EU besser, der Parlamentspräsident wird wie einst Usus ausgewechselt und Martin Schulz kann sich mit seiner freien Zeit darum bemühen, sein Profil zu schärfen und für 2019 bei der Parlamentswahl einen zweiten Anlauf auf das Amt des Kommissionspräsidenten zu stürzen. Würde er das schaffen, wäre seine Meinungsstärke kein Problem mehr.